Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Kreis der Dämmerung 04 - Der unsichtbare Freund

Titel: Der Kreis der Dämmerung 04 - Der unsichtbare Freund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
Vom Netzwerk:
anmutete, um real zu sein. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte David noch nie so viele Feenkamine auf einmal gesehen. Er stand am Eingang zum Tal der Schlafenden Zauberer. Auch ohne großes Hinweisschild gab es da keinerlei Zweifel für ihn.
    »Gibt es hier unerforschte Höhlenstädte, Chatscha?« Davids Stimme war heiser vor Anspannung.
    »Überall, wohin Sie blicken, M. Cournot.«
    »Wie schön.« Das bringt uns nicht weiter. David schaute auf die Uhr. Es war zehn Minuten nach fünf. Bald würde es dunkel werden. Er deutete mit dem Daumen über die Schulter auf eine zu Ehren des Heiligen Sincon errichtete Kapelle. »Früher haben sich hier doch eine Menge religiöser Grüppchen getroffen. Kommt das manchmal heute noch vor?«
    »Hin und wieder schon.«
    David horchte auf. »Und woher wissen Sie das?«
    »Die Gottesdienstzeiten stehen in den touristischen Veranstaltungskalendern von Göreme und Nevsehir oder in der örtlichen Presse.«
    Ein Stöhnen entrang sich Davids Kehle.
    »Was ist?«
    »Ach, nichts.« Er blickte zur tief stehenden Sonne hin. »Könnten Sie meiner Tochter und mir noch ein bisschen die Feenkamine zeigen?«
    »Deshalb sind wir doch hergekommen. Los geht’s. Und passen Sie auf, wo Sie hintreten.«
    Chatscha stapfte voraus, David und Kim folgten.
    Der Fremdenführer berichtete von den Felsenklöstern und -kapellen der frühen Christen wie auch der Byzantiner, schwärmte von ocker getönten Fresken, welche die Farben der Landschaft widerspiegelten, und erzählte kleine Anekdoten von Pilgern, die hier nach dem Stein der Weisen, dem Jungbrunnen, dem Heiligen Gral und anderen Raritäten gesucht hatten. David hörte kaum zu. Er blickte nur finster auf die blutrote Sonnenscheibe, die gerade am Horizont versank. Warum musste es im Süden nur so schnell dunkel werden!
    Chatscha widmete sich gerade den heimischen Reliquien: Nägel, gezogen aus dem Fleisch geschundener Märtyrer, Haare vom Haupt heiliger Jungfrauen, Vorhäute spät bekehrter Muslime, vertrocknete Blutreste, die man aus Gründen der Wertschöpfung von den bereits erwähnten Märtyrernägeln abgekratzt hatte sowie dem Schädel des…
    »Schädel?«, keuchte David.
    Chatscha fuhr erschrocken zusammen. »Vielleicht sollte ich ein appetitlicheres Thema…«
    »Nein, nein. Seien Sie bitte nur einen Moment still.« Davids Hand war wie bei einem Shakespeare-Darsteller in großer Geste erhoben, sein Gesicht gleichsam von Schmerz gezeichnet, sein Blick auf den letzten Feenkamin gerichtet, der jenseits des Horizonts stehen musste. Kim legte ihren Zeigefinger auf die Lippen, um von Chatscha das für ihn Kostbarste zu fordern: sein Schweigen. Wie wild tobten die Gedanken durch Davids Kopf. Schädel! Das Wort hatte etwas viel Wichtigeres ausgelöst als die Namen von Göreme oder des Atatürk-Hotels. Und dennoch schienen sich die drei Begriffe wie in einem Meeresstrudel immer enger umeinander zu drehen. Ir gendetwas fehlte noch. Du hast es doch in deinem eigenen Schädel drin, David. Lass es heraus! Ohne es zu merken, hämmerte er sich gegen die Stirn. Tausend Erinnerungen zuckten wie Blitze durch seinen Geist. Warum bin ich hier? Alles hatte mit den Papieren aus Ben Nedals Safe begonnen. Einige handelten von den Städten Kurdistans…
    »Golgothaaaaa!« Davids Schrei ließ Chatscha einige Schritte zurückweichen. Zweifellos hielt der Armenier seinen Klienten nun für restlos übergeschnappt. David kicherte. Er schüttelte den Kopf.
    Kim näherte sich ihm vorsichtig und nahm seine Hand. Die Haut war trocken und fühlte sich heiß an. »Ist alles in Ordnung mit dir – Vater?«
    Mit einem Mal war David wieder ganz er selbst. Überrascht blickte er in Kims dunkle Augen – noch nie hatte er das Wort Vater aus ihrem Mund gehört. Unvermittelt lächelte er.
    Und dann wandte er sich an den fluchtbereiten Fremdenführer. »Chatscha! Bleiben Sie bitte hier. Es geht mir wieder gut.«
    »Sind Sie auch ganz sicher, M. Cournot?«
    »Absolut sicher.« David lächelte. Vor seinem inneren Auge stand eine handschriftliche Notiz.
     
    Samstag, 26.4.41: Göreme, Atatürk Hotel, 20 Uhr, Golgatha
     
    Weder David noch Lorenzo hatten dem flüchtig hingeworfenen Vermerk Franz von Papens Beachtung geschenkt. Er war auf die Rückseite des Spionageberichtes gekritzelt, der irgendwie nicht zu Ben Nedals übrigen Dokumenten hatte passen wollen. Jetzt erst wurde David klar, dass allein der Termineintrag wichtig gewesen war.
    Inzwischen hatte sich Chatscha wieder vorsichtig seinem Kunden

Weitere Kostenlose Bücher