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Der Kreis der Dämmerung 04 - Der unsichtbare Freund

Titel: Der Kreis der Dämmerung 04 - Der unsichtbare Freund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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geschaffen. Vielleicht stimmte es ja wirklich, was Lorenzo in Rom angedeutet hatte, und es gab Plätze auf der Welt, an denen sich das Böse heimisch fühlte. Dies musste so ein Ort sein.
    Mitten im Ratssaal wuchs ein wuchtiger Felstisch aus dem Boden. Er war annähernd rund, seine polierte Oberfläche glänzte wie ein graugelber See. Die Tafel schien natürlichen Ursprungs zu sein und war auf ihre eigene Weise vollkommen. Ringsum standen zwölf, mit reichem Rankenwerk versehene Stühle aus schwarzem Ebenholz, von denen einer – dem Eingang direkt gegenüber – einem prächtigen Fürstenthron glich. Ein Baldachin aus blauem Samt überragte ihn und das Licht der Taschenlampen schien sich nur widerwillig den Weg bis zur Thronlehne zu bahnen.
    »Was sind das für Kristallkugeln?« Kims Stimme zitterte.
    Auch David waren die reflektierenden Glaskörper schon aufgefallen. Sie ruhten auf Goldreifen in Schlangenform: Die Reptilien bissen sich in den eigenen Schwanz. Es standen insgesamt sieben Kugeln auf der Tafel vor den Stühlen, die dem Thron am nächsten waren.
    »Damit rufen sie den Schattenlord herbei.«
    »Es ist so kalt hier. Können wir weitergehen?«
    Auch David fröstelte. Besorgt blickte er in Kims Gesicht. Er hätte sie nicht in diese Gefahr bringen dürfen. Sogar sie konnte den Nachhall von Belials Gegenwart spüren. Schweigend verließen sie den unheimlichen Saal.
    »Seltsam, dass der Komplex völlig verlassen ist. Entweder ist dies nur ein Ausweichquartier oder die Betreiber sind nach der Installation der ganzen Technik noch gar nicht wieder eingezogen«, sprach David seine Gedanken aus, als sie den tiefsten Punkt des Kommandostandes erreicht hatten.
    »Wenn der Geheimbund hier wirklich schon so lange tagt, wie du mir erzählt hast, dann vermute ich eher das Zweite.«
    David nickte.
    »Erinnerst du dich an den Nebenraum kurz vor dem Ratssaal?«
    »Der mit Gerümpel voll gestopft war?«
    »Genau den. Da wird dich niemand suchen. Und er liegt auf dem Weg zum Ausgang, was im Falle eines raschen Rückzuges von Nutzen sein könnte. Am besten bringe ich dich gleich dorthin.«
    David fühlte, wie sehr Kim dieses Vorhaben widerstrebte, aber sie fügte sich. Was sollte sie auch tun? Für eine Rückkehr an die Oberfläche war es zu spät – die Mitglieder des Geheimbundes befanden sich höchstwahrscheinlich schon im Anmarsch.
    Die Rumpelkammer lag in Sicht- und vermutlich auch Hörweite des großen Ratssaales. An ihrer eisenbeschlagenen Holztür gab David seiner Begleiterin letzte Instruktionen. »Sollte mir etwas zustoßen und du kannst entkommen, dann suche Lorenzo in New York auf. Du weißt, wie du die Gelbe Festung findest. Erzähle ihm alles, was du gesehen hast. Er wird sich dann um dich kümmern.«
    »Ich wünschte, du würdest etwas zuversichtlicher klingen.« Unvermittelt trat Kim an David heran, küsste ihn kurz auf die Wange und drückte ihn an sich. »Du kämpfst auf der Seite der Guten, David. Du wirst es schaffen.«
    Zum ersten Mal seit dem heiklen Abend in Trabzon, hatte sie sich David wieder genähert. Aber ihre Gefühle schienen anderer Art zu sein als noch vor zwei Nächten. Das hätte ihn beruhigen müssen, wenn da nicht…
    »Du… Du hast mich vorhin Vater genannt«, stotterte David.
    Kim löste sich von ihm und blickte mit schräg gelegtem Kopf in sein Gesicht. »Ich denke, Chatscha sollte glauben, wir beide seien…«
    »Ich kann es spüren, ob jemand zu mir die Wahrheit sagt oder nur flunkert«, unterbrach er sie. »Du hast dich nicht verstellt.«
    Kim streichelte Davids Wange. »Nein, das brauchte ich auch nicht. Ich habe meine Gefühle für dich anfangs selbst nicht richtig verstanden. Aber in dem Hotel in Trabzon sind mir die Augen aufgegangen. Du bist ein so guter Mensch, David. In meiner Heimat gibt es ein Sprichwort: ›Wem du dein Leben verdankst, der ist dein Vater.‹ Ich könnte mir keinen besseren als dich vorstellen.«
    David spürte, wie ernst es Kim mit diesen Worten war. Er konnte nicht anders, jetzt musste er sie an sich drücken. »So soll es sein. Zweimal habe ich ein Mädchen von der Straße aufgelesen und sie in die Obhut anderer gegeben. Vielleicht bist du meine letzte Chance, endlich ein guter Vater zu werden.«
    Obwohl das gegenseitige Offenbaren von Gefühlen nun jenen kritischen Punkt erreicht hatte, an dem sich gemeinhin heftige Tränenausbrüche einstellten, kam es nicht zum Äußersten. Vater und Tochter von eigener Gnade wurden jäh durch ein leises Geräusch

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