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Der Kreis der Dämmerung 04 - Der unsichtbare Freund

Titel: Der Kreis der Dämmerung 04 - Der unsichtbare Freund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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auseinander gerissen, ein trockenes Schaben von weit oben.
    »Sie kommen!«, raunte David in Kims Ohr. »Schnell, in die Kammer mit dir.«
    Kim ließ sich widerspruchslos in den Nebenraum drängen. Das Letzte, was David von ihr sah, waren ihre besorgten Mandelaugen. Dann schob sich die schwere Tür vor ihr Gesicht.
    Zwei, drei schnelle Atemzüge lang rief er sich noch einmal die über ihm liegenden Gänge und Kammern in den Sinn. Schließlich hatte er sein Versteck gefunden, einen Zugang zu dem Belüftungssystem. Da wohl niemand mit Eindringlingen rechnete, würde sich auch keiner für den winzigen Raum interessieren.
    Die Beleuchtung wurde eingeschaltet. »Herzlichen Dank«, flüsterte David und schlich den sorglosen Stimmen über ihm entgegen. Noch waren sie zu weit entfernt und er konnte nichts verstehen. Er huschte durch verschiedene Gänge, wählte zweimal die falsche Abzweigung, bemerkte seinen Irrtum aber jedes Mal bereits nach wenigen Schritten und kehrte wieder um. Die Männer kamen näher. Einzelne Wortfetzen eilten ihnen voraus.
    David schlich auf leisen Sohlen einen ungefähr zehn Meter langen Tunnel entlang. Vor ihm lief der Flur in einem T-Stück aus. Von rechts her kamen Schatten. Die Tür zum Wartungsraum war nur noch wenige Meter entfernt. Ein Fuß erschien an der Gabelung und verharrte. Ein Lachen hallte durch den Gang. David schlüpfte durch die Tür und drückte sie lautlos ins Schloss.
    In der Kammer war es ziemlich dunkel. Nur durch einige Ritzen in der altersschwachen Tür sickerte ein wenig Licht. David atmete schwer. Bei seinem vorherigen Inspektionsgang hatte er den Raum nur kurz in Augenschein genommen. Nach allem, was er hatte erkennen können, liefen an dieser Stelle größere und kleinere Luftschächte zusammen.
    Die Stimmen wanderten an der Tür vorbei. Sekundenlang konnte David jedes Wort verstehen. Es wurde Englisch gesprochen, genauso wie vor einhundert Jahren im Wald von Kent. Einer der beiden Männer schien ein Leibwächter zu sein oder ein Adjutant, wie es Alexej Archipenko für Golizyn gewesen war. Und der andere? Leider kannte David die Mitglieder des geheimen Zirkels nur von Lorenzos Porträts. Er beschloss zu warten. Vielleicht lag dem Eintreffen der Logenbrüder ja ein bestimmtes Schema zugrunde.
    Und es sah ganz danach aus. Nach einer Viertelstunde kreuzte der nächste auf. Schwere Schritte schlurften den Gang entlang. Kein Gespräch. Offenbar ein Einzelgänger. Davids Auge hing vor einer der Ritzen. Eine massige Gestalt wanderte vorüber. Einen Wimpernschlag lang sah er das runde Gesicht des Fremden. Es gehörte einem der Männer aus Lorenzos Bildersammlung.
    Wieder verstrichen fünfzehn Minuten und ein neuer Logenbruder traf ein. Er war stattlich und kakaobraun. Das musste Kamboto sein. David blickte auf seine Armbanduhr.
    Nach exakt siebzehn Minuten erschien wieder ein Kandidat: ungefähr eins achtzig groß, grau melierte dunkle Haare, Brille, vielleicht ein Spanier.
    Noch eine Viertelstunde verging, aber es geschah nichts. David wartete fünf weitere Minuten. Plötzlich schoss ihm ein Gedanke durch den Kopf. Ich bin an der Reihe! Sofern sich aus vier Testfällen schon eine Gesetzmäßigkeit ableiten ließ, war – wohl aus Zwecken der Geheimhaltung – jedem der Logenbrüder ein enges Zeitfenster für die Ankunft in Golgotha zugeteilt worden. Und jetzt wartete man auf Golizyn.
    David öffnete leise die Tür und holte tief Luft. Er streckte den Zeigefinger aus. Befand sich Golizyns Narbe rechts oder links? Er bohrte sich in die rechte Wange und dachte sich sein linkes Auge grün. Die Schläfen färbte er noch etwas dunkler ein. Fertig war der Salzmann!
    Halt! Eines hätte er beinahe vergessen. Schnell löste er Lord Belials Fürstenring von der Halskette, färbte den Rubin golden – was ihn im herrschenden Dämmerlicht so gut wie unsichtbar machte – und steckte sich den Reif an den Finger. Sicherheitshalber drehte er die Siegelfläche nach innen.
    Den Gang Golizyns nachahmend, machte er sich auf den Weg. Er schritt den Flur entlang, wechselte mehrmals die Richtung und betrat schließlich ohne große Eile den im Halbdunkel liegenden Ratssaal.
    Da saßen sie alle einträchtig vereint, »seine« Logenbrüder. Auf dem polierten Felstisch stand jetzt eine mit einer klaren Flüssigkeit gefüllte goldfarbene Schale, vermutlich ein Feuerbecken für die Flamme, die Lord Belial auf den Plan rufen sollte. Die vier goldenen Siegelringe der bereits Anwesenden ruhten wie kleine

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