Der Kreis der Dämmerung 04 - Der unsichtbare Freund
das Sixpencestück zu schenken, das Nick ihm während seiner Todesstunde in Flandern überlassen hatte. Ihm blieben noch siebzehn Jahre, um die brennenden Fragen zu klären. Bis zum Ende des Jahrhunderts konnte noch viel geschehen.
Den Beweis dafür erhielt er schneller als ihm lieb war. Obwohl David die Behörden im Libanon vor einem Terroristen und Aufwiegler namens Alexej Archipenko gewarnt hatte, gab es nur wenige Tage nach seiner Heimkehr ein furchtbares Blutbad in Beirut. Nach offizieller Lesart waren es rechts gerichtete libanesische Milizen gewesen, die in einem Palästinenserlager eintausend Frauen, Kinder und Greise abgeschlachtet hatten. Unter den Augen der israelischen Besatzungstruppen hatten wieder einmal so genannte Christen bewiesen, dass die Zeit der Kreuzzüge auch im zwanzigsten Jahrhundert noch nicht vorüber war.
Alexej Archipenko wurde am Rande des Schauplatzes von einem Irrläufer niedergestreckt und verblutete an Ort und Stelle. Seine sadistische Ader, sein Vergnügen am Tod anderer, war ihm zum Verhängnis geworden.
Zwar ging hier ein weiterer Punkt an Lord Belial und seine willfährigen Schergen. Golizyns Asche hatte gleichsam noch im Kamin über David triumphiert. Aber nun war endlich Schluss. Die schlafenden Zauberer hatten sich zur letzten Ruhe begeben.
Das jedenfalls hoffte David.
Nach der fast völligen Vernichtung des Kreises der Dämmerung kam es zu interessanten Umbrüchen in der Weltpolitik, angefangen mit Russland, wo Wladimir Michailowitsch Golizyn bis vor kurzem noch sein Unwesen getrieben hatte. Am 10. November 1982 starb der sowjetische Staats- und Parteichef Leonid Iljitsch Breschnew. Der rote Thron von Moskau erlebte zwar noch das Intermezzo zweier anderer Altgardisten, aber dann öffnete sich der Vorhang für Michail Sergejewitsch Gorbatschow.
Gorbatschow war anfangs nur der zweite Mann im Staat, bald jedoch arbeitete er sich an die Spitze der Partei- und Staatsführung hoch. Aber nicht, um den Kalten Krieg wiederzubeleben. Mit seinem neuen politischen Kurs der Perestroika trieb er den wirtschaftlichen »Umbau« voran, und als er Glasnost forderte, wehte tatsächlich ein neuer Wind der »Offenheit« durch das so lange von Zensur und Geheimpolizei geknechtete Land. Plötzlich durften Probleme öffentlich diskutiert und Politiker wie auch Staatsorgane kritisiert werden, vor kurzem noch ein Ding der Unmöglichkeit.
Man kann sich denken, dass dabei nicht nur Gutes ans Licht kam. Als 1986 das Kernkraftwerk von Tschernobyl kollabierte und Europa von einer radioaktiven Wolke heimgesucht wurde, verstärkten sich nicht nur alte Ressentiments gegen den einstigen Feind, sondern auch Davids ungute Ahnungen in Bezug auf die »Segnungen der Wissenschaft«. Hatte Kamboto in Golgotha nicht einen »ganz großen Knaller« angekündigt?
Den Atombombenabwurf von Hiroshima würde David nie vergessen können. Später war dann das Reaktorunglück von Harrisburg gekommen und nun die Katastrophe von Tschernobyl. Was stand wohl als Nächstes auf dem Programm?
Der Schattenlord verfügte nur noch über zwei seiner einst elf Vertrauten. Für weltweite Intrigen fehlte ihm wohl nun die Macht, der zunehmende Verfall des kommunistischen Sowjetreiches schien das zu bestätigen. Er würde also den Jahrhundertplan entweder gar nicht mehr oder nur mit einem ganz großen Knalleffekt zum Erfolg führen können. Es fragte sich nur, wo und wann dieser »Kracher« hochgehen sollte. Und vor allem wie?
Lorenzo war zufrieden, sein Stonehenge-Projekt auf so erfolgreiche Weise abgeschlossen zu haben. Was ihn jedoch störte, war die Aufgabe der Gelben Festung. David hatte alle geheimen Einrichtungen aus dem Gebäude evakuieren lassen und war mit dem gesamten Mitarbeiterstab auf eine alte Farm am Rande von Westport, fünfundvierzig Meilen nordöstlich von New York, gezogen. Innerhalb kürzester Zeit hatte er daraus eine »Nachrichtenfarm« gemacht, wobei er auf die während des Zweiten Weltkrieges in Bletchley Park gewonnenen Erfahrungen zurückgriff Das Landgut in Westport wurde gewissermaßen zur miniaturisierten und modernisierten Ausgabe der einstmaligen Nachrichtenzentrale des britischen Militärgeheimdienstes.
Ruben verbrachte weiterhin die meiste Zeit im Big Apple. Er sei für einen aufwändigen Anschlag zu unwichtig, lautete seine einfache Begründung, und außerdem müsse ja jemand auf Davids »gelbe Immobilie« aufpassen. Dort, genauer gesagt im Hof der Gelben Festung, fand sich am Silvesterabend der
Weitere Kostenlose Bücher