Der Kreis der Dämmerung 04 - Der unsichtbare Freund
entsetzt unterbrochen.
David fuhr sich mit der Hand über die Stelle, an der sich die Narbe hätte befinden müssen. Sie war nicht mehr da. In der Aufregung hatte er seine Maske vergessen. Mit grimmiger Miene sah er in die ihm eben noch so zugeneigte Runde. Jetzt waren da nur hasserfüllte Gesichter. Drei Hände suchten nach versteckten Waffen.
Der Blondling knurrte: »Erschieß sie endlich, Hakon.«
»Nein!«, brüllte David, sprang vom Stuhl auf und riss den Arm in Richtung Hakon hoch. Das schwere Sitzmöbel polterte hinter ihm zu Boden. Der Glatzkopf würde nicht zögern. Ganz deutlich sah es David voraus. Schon krümmte sich der Finger um den Abzug. Kims Augen waren geschlossen. Doch kein Knall gellte durch Golgotha…
Ungläubig starrte der Blondling auf seinen vereisten Adjutanten. Hakon sah aus wie eine blasenübersähte Gipsfigur. Kim schlug mit dem Ellenbogen nach der Pistole und Hakons rechte Hand brach ab. Dann flog ihr anderer Ellenbogen nach oben und auch die Linke des tiefgekühlten Glatzkopfes löste sich knackend vom Stumpf. Angewidert drehte sich die Frau von dem steifen Hünen weg und versetzte ihm aus dem Schwung heraus einen Tritt. Der Mann kippte nach hinten und zersprang am Boden wie eine Porzellanfigur in tausend Scherben. Zuletzt zersplitterte die noch immer in Kims Haar hängende Hand, das Mädchen hatte sie gegen die Tunnelwand geschleudert.
Als David sich wieder den Logenbrüdern zuwandte, blickte er in die Mündungen von vier Handfeuerwaffen. Wie auf ein stilles Kommando waren sie übereingekommen, ihren lästigen Gegner sofort zu exekutieren. Ein mahlendes Geräusch über ihren Köpfen ließ sie jedoch innehalten. Dann krachte es und die Decke fiel herunter: eine etwas mehr als tischgroße Steinplatte begrub drei der Gegner und ein kleinerer Felsbrocken den im Gang stehenden vierten.
Die brutale Behandlung Kims hatte Davids Zorn entfacht. Was als Notwehr gedacht gewesen war, hätte beinahe in einer Katastrophe geendet. Zum Glück war er rechtzeitig von der Tafel zurückgewichen, das Felsstück hatte ihn knapp verfehlt.
Kim kletterte über das Geröll, unter dem der zersplitterte Blondling lag. Durch die Ratshöhle schwebte Staub. Der größte Teil der ohnehin spärlichen Beleuchtung war ausgefallen.
»David!«, rief ihre besorgte Stimme. »David, bist du da?« Er antwortete nicht sofort, was sie nur umso ängstlicher rufen ließ. »Vater, sag endlich etwas zu mir!« Dann hörte sie ein leises Klimpern wie von aneinander klickenden Geldstücken.
»Mir geht es gut, Kim.« Vor ihr tauchte David aus den Staubwolken auf. Auf seiner offenen Hand lagen fünf Fingerreife, darunter auch der Fürstenring.
Kims Augen wurden groß. »Aber, wie hast du…?«
Die Ringe stiegen langsam von Davids Hand hoch, torkelten wie müde Schmetterlinge in der Luft herum und kehrten zu ihrem Ausgangspunkt zurück. David lächelte. »Ich nenne es sanfte Verzögerung. Inzwischen kann ich sie ganz gut kontrollieren. Doch jetzt komm. Wir sollten hier verschwinden, ehe…« Er verstummte. »Was war das?«
»Ich habe nichts gehört.«
Sie lauschten. Im Raum herrschte Totenstille. Und dann hallte wieder dieses Geräusch durch die Gänge – Schritte!
»Über uns ist jemand«, flüsterte Kim.
»Das muss der nächste der Logenbrüder sein. Der Lärm hat ihn gewarnt. Schnell, Kim, wir müssen hier raus.«
David packte ihre Hand und begann zu laufen. Er durchquerte die Gänge und erklomm die Treppen zum Ausgang hin. Eine schlimme Ahnung trieb ihn zur Eile, Gerade als er eine vertraute Stelle passierte, meldete sich seine Sekundenprophetie.
»Dieser Schuft!«
»Was ist?«, keuchte Kim.
»Gleich fliegt hier alles in die Luft. Komm! Da hinein.«
Mit zwei Sätzen war David bei der Tür, die zu den Belüftungsschächten führte. Er riss sie auf, zerrte Kim hinter sich her und stieß sie dann in einen der rechteckigen Tunnel des Wartungsraumes. Gerade als er seinen Oberkörper in den Schacht schob, erfolgte eine Detonation.
Es war, als würde man einen Vulkanausbruch mitten im Feuer speienden Berg selbst erleben. Die Explosion schien weit entfernt zu sein, aber dann raste eine gewaltige Druckwelle durch Tunnel und Gänge. Während David und Kim raupengleich in dem vielleicht einen Meter breiten und ebenso hohen Schacht vorwärts robbten, hörten sie das Geröll durch die Gänge prasseln. Schließlich flog die altersschwache Tür aus den Angeln. Glühend heiße Luft wurde hereingepresst. Hunderte von
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