Der Kreuzfahrer
Entsetzen an. Sie bewegte den Kopf in meine Richtung, nur ein kleines Stück, und ich schwöre, ich konnte einfach nicht anders, als bei ihrem schauderhaften Anblick zusammenzuzucken. Sie sah mich zurückschrecken und riss mit einer kleinen weißen Hand den Schleier hoch, wickelte ihn sich um den Kopf, ließ die Kerze fallen und rannte hinaus. Zurück blieben nur das Rascheln ihres Saumes auf dem Steinboden und ein Hauch ihres Parfüms in der Luft.
Meine Schreie hatten den ganzen Schlafsaal geweckt und brachten mir wenig später einen Besuch von Sir Nicholas de Scras ein. Er erschien mit einer Laterne in der Hand, das kurze graue Haar vom Schlaf zerzaust.
»Eure junge Freundin war also bei Euch«, sagte er. »Ich habe ihr verboten, Euch zu besuchen, ehe Ihr vollständig genesen seid. Aber wie ich sehe, hat sie mir nicht gehorcht. Hat sie Euch erschreckt?«
»Was ist mit ihr geschehen? Mein Gott, sie war so … so schön, so vollkommen …«
»Sie wollte mir nicht sagen, wer ihr diese furchtbaren Verletzungen zugefügt hat, aber ich hatte den Eindruck, es könnte einer unserer Ritter gewesen sein – habt Ihr in letzter Zeit jemanden beleidigt? Sie wurde auch vergewaltigt, sehr brutal – unsere Ärzte mussten ihren Schoß wieder zusammennähen.« Er sprach vollkommen sachlich über diese äußerst intime Operation. »Aber nichts von alledem ist lebensbedrohlich, Alan. Sie ist ein gesundes junges Mädchen, verletzt ist hauptsächlich ihre Eitelkeit. Mit Gottes Gnade müsste sie sich bald erholen – und mit Eurer liebenden Fürsorge natürlich.«
Was der Johanniter sagte, war zweifellos wahr. Doch sie war so wunderschön gewesen – was für ein Leben erwartete sie als grausig entstelltes Ungeheuer? Als abscheuliches Kuriosum, vor dem Kinder schreiend davonlaufen würden? Und was war mit mir? Ich hatte geschworen, dass ich sie immer lieben würde. Konnte ich sie lieben, da sie so brutal ihrer Schönheit beraubt worden war? Ich wollte nicht darüber nachdenken.
Weißglühende Wut auf Malbête überkam mich. Ich war sicher, dass er oder seine Lakaien sie so verstümmelt hatten. Seine Worte hallten in meinem Kopf wider: »Du hast schon wieder einen von meinen Leuten aufgeschlitzt, Sängerknabe. Ich denke, es wird Zeit, dass ich mich revanchiere.«
Ich schäme mich, das einzugestehen, doch in diesem Moment überfiel mich auch Selbstmitleid. Er hatte mir das Einzige genommen, das in meinem Leben wahrhaft schön war, und es in ein Ungeheuer verwandelt. Und ich empfand Schuld. Ja, vor allem Schuld. Wenn ich nicht versucht hätte, Malbête auf so tolpatschige Weise zu töten, wäre ihr kein Leid geschehen.
Und noch schuldiger fühlte ich mich, weil ich tief im Herzen wusste, dass ich Nur niemals aufrichtig lieben könnte, so, wie sie jetzt aussah.
Kapitel 17
A ls ich am nächsten Morgen erwachte, fühlte ich mich schwach, aber klar im Kopf – ich wusste genau, was ich zu tun hatte. Ich musste zu Robin gehen und ihn um Verzeihung bitten, so demütigend das auch sein mochte. Ohne seine Hilfe und seinen Schutz würde ich keine Chance haben, Malbête den Kampf anzusagen und das furchtbare Leid zu rächen, das er meinem armen Mädchen zugefügt hatte.
Im Frauenquartier war von Nur nichts zu sehen, und Elise sagte mir, dass sie mit all ihren Habseligkeiten irgendwann in der Nacht verschwunden sei. Will Scarlet war bei seiner Frau, als ich mit ihr sprach, und beide wirkten erfreut darüber, dass ich mich etwas von meinem Fieber erholt hatte. Ich hingegen schämte mich, weil ich erleichtert über Nurs Verschwinden war. Ich hatte keine Ahnung, was ich zu ihr hätte sagen sollen. Ich hatte versprochen, sie immer zu lieben und zu beschützen, doch ich kannte die Wahrheit: Ich konnte weder das eine noch das andere. Sie war fort, und um ehrlich zu sein, war ein Teil von mir froh darüber. Ein anderer Teil sehnte sich schmerzlich nach der schönen jungen Frau, die in den vergangenen Monaten mein Bett geteilt hatte – der ersten Frau, der ein Stück meiner Seele gehört hatte.
Unerklärlicherweise kannte Elise diese Geheimnisse meines Herzens. Vielleicht war das nur gewöhnliches weibliches Einfühlungsvermögen, vielleicht auch ihre besondere Gabe. »Ich trauere um Eure Liebe, Alan«, sagte sie. »Sie ist durch die Augen hereingekommen, genau, wie ich es Euch vorhergesagt habe. Und wie ich sehe, ist sie auf demselben Weg wieder gegangen. Aber grämt Euch nicht, das ist die Unbeständigkeit der Männer. Ihr könnt
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