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Der Kreuzfahrer

Der Kreuzfahrer

Titel: Der Kreuzfahrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angus Donald
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Warum machen wir alle nicht Schluss damit? Bin ich in einem grässlichen Alptraum gefangen, in einer Welt ohne Gnade, einem gottlosen Universum, in dem Blutvergießen und Tod ganz gleichgültig sind?« Noch während ich das dachte, kroch ein noch schlimmerer Gedanke aus seiner schleimigen Grube tief in meinem Schädel. »Du empfindest nichts«, sagte die Stimme der finsteren Made in meinem Kopf. »Du siehst wahrhaftiges Grauen, entsetzliche Brutalität, ein ungeheuerliches Blutvergießen – Hunderte von Menschen, sogar Kinder, werden vor deinen Augen abgeschlachtet –, und du empfindest nichts. Bist du noch ein Mensch? Hast du die Kraft verloren, irgendetwas zu fühlen?«
    Mir schwindelte, und ich schloss die Augen. Szenen wie aus einem Schlachthaus wirbelten in meinem Kopf umher: Sir Richard at Lea, dessen Körper auf den felsigen Boden fiel, sein Blut so dick und dunkel wie Teer. Der Sand vor mir übersät mit abgeschlagenen Häuptern wie weggeworfenen fauligen Kohlköpfen. Der Hieb einer Klinge, ein Fluch, Gelächter aus der Menge, als der Waffenknecht sein Ziel verfehlte. Die Welt drehte sich, kreiselte wie ein Kinderspielzeug. Ich fühlte, wie mein Körper zu erschlaffen begann, meine Beine zu Wasser wurden.
    »William«, flüsterte ich. »Ich glaube, ich muss zurück in den Schlafsaal.«
     
    In dieser Nacht kehrte das Fieber zurück, erbarmungslos wie ein tollwütiger Wolf. Mit ihm kam der Tod. Mein Tod – die Geister all der Menschen, denen ich das Leben genommen hatte, die ich hatte sterben sehen, und es waren ihrer so viele. Ich schrie im Schlaf, als sich Bilder von unerträglicher Grausamkeit in mein gequältes Hirn drängten. Ich sah den ersten Mann, den ich je getötet hatte, in einem weit zurückliegenden Scharmützel im Sherwood Forest. Sein junges Gesicht grinste mich an, sein Hals blutete von meinem Schwerthieb. Er schlitzte meiner Mutter die Kehle auf, während Sir Richard at Lea völlig unbeteiligt zusah und sagte: »Sie musste sterben, Alan. Sie stand mir im Weg.« Wieder sah ich Little John mit seiner großen Axt ausholen und einem an den Waldboden gefesselten Raubritter die Gliedmaßen abschlagen. Und ich sah Robin, der lachend einen der gefangenen Sarazenen mit einem Tritt umwarf und vor dämonischem Gelächter heulte, als der Kopf herunterfiel, wegrollte und eine rote Spur im Sand hinterließ.
    Ich konnte nicht mehr unterscheiden, ob ich wachte oder schlief. Die ganze lange Nacht über traten Tote an mein Bett im Schlafsaal und sprachen zu mir. Ich tobte und schrie, flehte sie an, mich in Ruhe zu lassen. Malbête kam zu mir, in jeder Hand einen abgetrennten Kinderkopf wie eine abscheuliche blutige Orange. Er sagte mir, ich müsse sie essen: »Früchte werden deinen Körper von den bösen Säften befreien«, sagte er mit Reubens Stimme. Dann lachte er sein spöttisches Gackern.
    Eine Gestalt befand sich im Raum, klein, dunkel, von Kopf bis Fuß in Schwarz gehüllt, das Gesicht schwarz verschleiert. Die Gestalt kam mit einer einzelnen Kerze in der Hand auf mich zu. Als ich zurückschrak und vor Entsetzen zu stammeln begann, streckte sie eine kleine weiße Hand aus und befühlte meine Stirn. Die Hand war kühl und wohlduftend. Unendlich erleichtert erkannte ich, dass es Nur war. Meine liebliche Nur war zu mir zurückgekommen, mein schönes Mädchen war wieder bei mir. Aber ich konnte ihr Gesicht nicht sehen. Ich streckte die Hand aus, ergriff den schwarzen Schleier und zog daran. Das dünne Tuch glitt leicht von ihrem Kopf – und ich schrie und schrie, laut genug, um tausend Leichen aus ihren Särgen zu erwecken.
    Anstelle des frischen, lieblichen Gesichtes meiner Geliebten sah ich ein Ungeheuer vor mir, ein Zerrbild der Schönheit meines Mädchens. Die Lippen waren ihr aus dem Gesicht geschnitten worden, so dass abgesplitterte Zähne und rosiges Zahnfleisch in einer unveränderlichen Grimasse aus dem Schädel hervorschauten. Das Haar war zu schwarzen Stoppeln abrasiert. Man hatte ihr die Nase abgetrennt, da war nur ein rosafarbenes Loch, verkrustet mit Blut und Schleim. Und die wunderschönen dunklen Augen waren geschwollen und rot geädert vor Leid. Sie drehte den Kopf weg und beugte sich vor, um nach dem Schleier zu tasten, der auf den Boden gefallen war. Da sah ich, dass auch die Ohren grob abgehackt worden waren und nur noch die Andeutung eines Ohrläppchens unter blutigen kleinen Löchern an den Seiten ihres Kopfes hing.
    Ich starrte meine geliebte Nur voll Erstaunen und blankem

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