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Der Kreuzfahrer

Der Kreuzfahrer

Titel: Der Kreuzfahrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angus Donald
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verschwunden. Als ich an einer Trockensteinmauer entlanglief, wirbelte ich plötzlich herum, und ich bin sicher, dass ich dort, etwa fünfzig Schritt hinter mir, eine Frauengestalt erkannte, nach arabischer Art von Kopf bis Fuß schwarz verhüllt. Ich schrie: »Nur!«, und rannte zu der Stelle zurück, wo ich die Gestalt gesehen hatte, doch da war niemand. Ich starrte in einen dunklen Olivenhain, in dem keine Spur von einer Menschenseele zu sehen war. War das ein Trugbild gewesen, hervorgerufen durch Ambroise’ Wein? Die Einbildung eines von Schuldgefühlen geplagten jungen Mannes? Oder war sie tatsächlich hier gewesen? Mir lief ein Schauer über den Rücken.
    Als ich den Teil des Lagers erreichte, wo die Männer aus dem Sherwood kampierten, holte der grauhaarige, grimmige Owain mich wieder auf den Boden der Realität zurück, indem er mir sagte, Robin wolle mich sehen. Noch immer beunruhigt wegen meiner Vision der dunklen, arabischen Frauengestalt, ging ich hinüber zu seinem Zelt, kündigte mich höflich an und trat ein.
    Drinnen waren Reuben, Little John und Robin um ein Schriftstück, nein, eine Landkarte auf einem kleinen Tisch versammelt. Alle drei trugen die Spuren unseres Kampfes: Robins verletztes Bein war frisch verbunden, wie ich sah. Reuben humpelte noch immer mit geschientem Bein umher, und selbst Little John hatte eine lange, grob zusammengenähte Schnittwunde an der Stirn.
    Ich blieb vor den dreien stehen und wartete darauf, dass Robin mich bemerkte. Alle drei richteten sich auf, Robin ließ die Ränder der Karte los, die sich mit einem scharfen Schnappen einrollte, und wandte sich mir zu. Ohne weitere Umschweife sagte er: »Wir gehen nach Hause, Alan. Das heißt, ich gehe, und John, Owain und die meisten unserer Männer ebenfalls. Reuben wird sich in Gaza niederlassen und dort meine Interessen im, äh, Weihrauchhandel vertreten. Aber auf mich wartet eine dringende Familienangelegenheit zu Hause in Kirkton. Meine Frau – und mein
Sohn
 – brauchen mich.«
    Er betonte das Wort »Sohn«, als verkünde er damit eine endgültige Entscheidung. Ich wusste, was er damit sagen wollte, und mir wurde leichter ums Herz. Er würde zu Marie-Anne und dem kleinen Hugh stehen, er würde treu zu ihnen halten, obgleich andere ihn dadurch in Scham und Schande sahen. Er reiste heim zu seiner Familie und verkündete damit, dass sie, ob blutsverwandt oder nicht, seine Familie
waren,
ihre Ehre seine Ehre, und dass er sie bis zu seinem letzten Atemzug beschützen würde.
    »Also, ich kehre nach Hause zurück«, wiederholte Robin. »Der König ist bereit, mich ziehen zu lassen. Ich soll ihm in England einen kleinen Gefallen tun und seinen Bruder John im Auge behalten, der anscheinend ein rechtes Ärgernis geworden ist. Der offizielle Grund für meine Heimreise ist meine schwere Verletzung …« Er tippte sich an das verbundene Bein. »Doch in Wahrheit habe ich alles erreicht, weshalb ich hierhergekommen bin. König Richard hat seine Schlacht gewonnen, und es wird höchste Zeit, dieses verfluchte Land zu verlassen und in die grünen Hügel der Heimat zurückzukehren. Ich frage dich – wirst du mit mir kommen?«
    Ich war völlig verblüfft. Er hatte mich noch nie zuvor gefragt, ob ich ihm folgen würde. Das hatte immer als selbstverständlich gegolten. Ich öffnete und schloss ein paar Mal stumm den Mund, dann sagte Reuben verständnisvoll: »Wir haben gehört, dass der König dir eine Position in seinem Gefolge angeboten hat, und wir wissen, dass du bei Robin nicht mehr glücklich bist, seit …«
    Dass Reuben so genau Bescheid wusste, überraschte mich sogar noch mehr. Ich selbst hatte erst vor einer Stunde vom überaus großzügigen Angebot des Königs erfahren. Allerdings konnte Ambroise ja nie den Mund halten.
    »Wenn du mich verlassen und dich dem König anschließen willst, werde ich dich mit großem Bedauern aus meinen Diensten entlassen – und dir meinen Segen geben«, sagte Robin. Er lächelte mich traurig an, ein silbriges Leuchten in den Augen.
    Ich schluckte. Auf der einen Seite die Ritterwürde, ein gutbezahlter Posten als Hofmusiker des edelsten Königs der Christenheit, die Chance, unsere Aufgabe hier zu vollenden und Jerusalem, die heiligste Stadt der Welt, aus den Klauen der Sarazenen zu befreien; auf der anderen Seite weitere Jahre im Dienst eines Mannes, der anscheinend keine Vorstellung von Anstand und Moral besaß, sich an kein zivilisiertes Gesetz gebunden fühlte und keine Skrupel hatte,

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