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Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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seiner Wange ihn für die schlimmsten Augenblicke seines Lebens entschädigten.
    Er war ungerecht; nicht nur dem Ratgeber schuldete er Dank. Hatten nicht andere ihn getragen, wenn ihn die Kräfte verließen? Hatten sie nicht unzählige Male gebetet, vor allem der Beatinho, damit er zum Glauben finde? War Maria Quadrado nicht gut zu ihm, mildtätig, großmütig? Er versuchte, mit Liebe an die Mutter der Menschen zu denken. Sie hatte alles getan, sie zu gewinnen. Auf der Wanderschaft, wenn sie sah, daß er erschöpft war, massierte sie lange Zeit seinen Körper, so wie sie die Beine des Beatinho massierte. Und wenn er Fieber hatte, ließ sie ihn in ihren Armen schlafen, um ihm Wärme zu geben. Sie brachte ihm die Kleider und zog ihn an, sie hatte sich diese großartigen Hand-Schuhe aus Holz und Leder ausgedacht, in denen er herumlief. Warum also liebte er sie nicht? Wohldeshalb, weil er auf nächtlicher Rast in der Wüste sogar die Oberin des Heiligen Chors sich hatte anklagen hören, sie habe sich vor dem Löwen geekelt und gedacht, seine Häßlichkeit sei des Teufels. Weinend hatte Maria Quadrado diese Sünde gebeichtet und sich an die Brust geschlagen und ihn um Verzeihung gebeten für ihre Niedertracht. Er hatte ihr gesagt, er verzeihe ihr, er hatte sie Mutter genannt. Aber im Grunde stimmte es nicht. Ich bin nachtragend, dachte er. Wenn es eine Hölle gibt, werde ich darin brennen in alle Ewigkeit. Andere Male erfüllte ihn der Gedanke an Feuer mit Entsetzen. Heute ließ er ihn kalt.
    Die letzte Prozession fiel ihm ein, und er fragte sich, ob er noch einmal an Prozessionen teilnehmen sollte. Welche Angst hatte er ausgestanden! Wie oft war er nahe daran gewesen, erstickt, zertreten zu werden von der Menge, die zum Ratgeber drängte! Die Katholische Wachmannschaft hatte alle Kräfte aufgeboten, um nicht überrannt zu werden von den Gläubigen, die zwischen Fackeln und Weihrauchwolken die Hände ausstreckten, um den Heiligen zu berühren. Der Löwe wurde hin und her gezerrt, zu Boden gedrückt, laut heulen mußte er, damit die Katholische Wachmannschaft ihn hochhob, als ihn die Menschenflut schon fast verschlungen hatte. In letzter Zeit wagte er kaum noch, das Sanktuarium zu verlassen, denn die Gassen waren wieder gefährlich geworden. Die Leute kamen gelaufen, um seinen Rücken zu berühren, weil sie glaubten, es bringe ihnen Glück; wie eine Puppe schleppten sie ihn mit und hielten ihn mit Fragen über den Ratgeber stundenlang in ihren Häusern fest. Würde er für den Rest seiner Tage in diesen Lehmwänden eingesperrt bleiben? Das Unglück war bodenlos, die Reserven an Leiden unerschöpflich.
    An den Atemzügen merkte er, daß der Ratgeber nun schlief. Er horchte nach dem kleinen Raum, zu den frommen Frauen hinüber. Auch sie schliefen, selbst Alexandrinha Corrêa. War es der Krieg, der ihn wachhielt? Er stand unmittelbar bevor, weder João Abade noch Pajeú, noch Macambira, noch Pedrão, noch Taramela, noch die Männer, die die Wege und die Schützengräben überwachten, waren zur Stunde des Rats gekommen, und hinter der rings um die Kirche errichteten Brustwehr hatte der Löwe Bewaffnete gesehen, Männer, die mitStutzen, Flinten, Kugelketten, Armbrüsten, Schaufeln und großen Gabeln hin und her liefen, als erwarteten sie jeden Moment den Angriff.
    Er hörte den Hahn krähen; zwischen dem Dachstroh wurde es Tag. Als die Wasserträger hupten, erwachte der Ratgeber und warf sich zu Boden, um zu beten. Gleich darauf trat Maria Quadrado ein. Trotz der durchwachten Nacht war der Löwe schon auf und bereit, die Gedanken des Heiligen aufzuzeichnen. Dieser betete lange, und als ihm die frommen Frauen die Füße wuschen und die Sandalen anzogen, saß er mit geschlossenen Augen. Doch er trank die Schüssel Milch, die ihm Maria Quadrado reichte, und aß ein Maisbrot. Das Lamm streichelte er nicht. Er ist nicht nur wegen Pater Joaquim so traurig, dachte der Löwe von Natuba. Auch wegen des Krieges.
    Unterdessen kamen João Abade und João Grande herein, und Taramela, den er zum erstenmal im Sanktuarium sah. Als der Straßenkommandant und der Chef der Katholischen Wachmannschaft aufstanden, nachdem sie dem Ratgeber die Hand geküßt hatten, blieb der Stellvertreter Pajeús knien.
    »Taramela hat in der Nacht eine Nachricht erhalten«, sagte João Abade.
    Der Löwe dachte, daß sicher auch der Straßenkommandant kein Auge zugetan hatte. Er war verschwitzt, schmutzig, in Sorge. João Grande trank genießerisch eine Schüssel

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