Der Krieg am Ende der Welt
Milch, die Maria Quadrado ihm reichte. Der Löwe stellte sich beide vor, auf Trab die ganze Nacht, von einem Schützengraben zum andern, von diesem Ortseingang zu jenem, Pulver fahrend, Waffen kontrollierend, diskutierend. Er dachte: Heute wird es sein. Taramela kniete noch immer, den zerknitterten Lederhut in der Hand. Er hatte zwei Flinten und um den Hals so viele Kugelketten, daß sie wie Karnevalsschmuck aussahen. Er biß sich auf die Lippen, unfähig, zu sprechen. Endlich stotterte er, Cintio und Cruzes seien angekommen, zu Pferde. Eins der Pferde sei krepiert, inzwischen vielleicht auch das andere, es habe in Strömen geschwitzt, als er fortging. Die beiden waren zwei Tage ununterbrochen galoppiert. Beinahe wären auch sie krepiert. Verwirrt schwieg er, sah aus geschlitzten Augen hilfesuchend zu João Abade.
»Sag dem Vater Ratgeber die Botschaft, die Pajeú Cintio undCruzes mitgegeben hat«, half ihm der ehemalige Cangaceiro auf die Sprünge. Auch ihm hatte Maria Quadrado eine Tasse Milch und ein Brötchen gereicht. Er sprach mit vollem Mund.
»Der Befehl ist ausgeführt, Vater«, erinnerte sich Taramela.
»Calumbí ist abgebrannt, Baron de Canabrava ist mit seiner Familie und ein paar Capangas nach Queimadas gegangen.« Ankämpfend gegen seine Schüchternheit vor dem Heiligen, erklärte er, Pajeú habe nach dem Abbrennen der Fazenda die Soldaten nicht überholt, sondern sich dem Halsabschneider an die Fersen geheftet, um seine Nachhut anfallen zu können, wenn er Belo Monte stürmte. Und ohne Übergang sprach er wieder von dem toten Pferd. Er habe befohlen, es solle in seinem Schützengraben gegessen werden und das andere solle, falls es ebenfalls stürbe, Antônio Vilanova gebracht werden, damit er darüber verfüge ... doch da der Ratgeber in diesem Moment die Augen aufschlug, verstummte er. Der tiefe, nachtschwarze Blick erhöhte die Nervosität Taramelas; der Löwe sah ihn mit aller Kraft seinen Lederhut zerdrücken.
»Es ist gut, mein Sohn«, murmelte der Ratgeber. »Der gute Jesus wird Pajeú und denen, die bei ihm sind, ihren Glauben und ihren Mut vergelten.«
Er streckte die Hand aus, und Taramela küßte sie, behielt sie noch einen Augenblick in den seinen und betrachtete sie voll Hingabe. Der Ratgeber segnete ihn und bekreuzigte sich.
João Abade gab ihm ein Zeichen, und rückwärts gehend, unter ehrfürchtigem Kopfneigen, entfernte sich Taramela. Ehe er hinaustrat, ließ ihn Maria Quadrado aus dem gleichen Gefäß trinken, aus dem auch João Abade und João Grande getrunken hatten. Der Ratgeber sah die beiden fragend an.
»Sie sind ganz nahe, Vater«, sagte, sich hinhockend, der Straßenkommandant. Er sprach in so ernstem Ton, daß der Löwe von Natuba erschrak, und er spürte, daß auch die frommen Frauen erschauerten. João Abade zog sein Jagdmesser, zeichnete einen Kreis auf den Boden und fügte dann Striche ein: die Wege, auf denen die Soldaten anrückten.
»Von dieser Seite kommt niemand«, sagte er, auf die Straße nach Jeremoabo deutend. »Die Vilanova haben alte Leute und Kranke dahin gebracht, damit sie vor den Schüssen in Sicherheit sind.«Er sah João Grande an, damit dieser fortfahre. Der Neger zeigte auf eine Stelle im Kreis.
»Wir haben einen Unterstand für dich gebaut, zwischen den Ställen und Mocambo«, murmelte er. »Tief und ganz aus Stein, damit er kugelsicher ist. Hier kannst du nicht bleiben, denn von dieser Seite kommen sie.«
»Sie haben Kanonen dabei«, sagte João Abade. »Ich habe sie heute nacht gesehen. Die Spurensucher haben mich in das Lager des Halsabschneiders mitgenommen. Sie sind groß und feuern auf weite Entfernung. Das Sanktuarium und die Kirchen werden ihr erstes Ziel sein.«
Der Löwe von Natuba war so müde, daß die Feder seinen Fingern entglitt. Ruckweise schob er die Arme des Ratgebers beiseite, bis es ihm gelang, den dröhnenden Kopf auf seine Knie zu legen. Er hörte kaum noch die Worte des Heiligen:
»Wann werden sie hier sein?«
»Spätestens heute nacht«, erwiderte João Abade.
»Dann werde ich in die Schützengräben gehen«, sagte der Ratgeber sanft. »Der Beatinho soll die Heiligen und die Christusfiguren und die Urne mit dem Bild des guten Jesus aus der Kirche holen und alle Bilder und Kreuze von den Wegen entfernen lassen, auf denen der Antichrist kommt. Viele werden sterben, aber wir wollen nicht weinen, für den Gläubigen ist der Tod ein Glück.«
Für den Löwen kam das Glück in diesem Augenblick: die Hand des Ratgebers
Weitere Kostenlose Bücher