Der Krieg am Ende der Welt
Kompromiß mit den Republikanern, hast du gesagt?« Gumucio sah ihn erschrocken an.
»Kompromiß habe ich gesagt, aber gedacht habe ich an ein Bündnis, einen Pakt«, sagte der Baron. »Es ist schwer zu begreifen und wird noch schwerer in die Tat umzusetzen sein, aber es gibt keinen anderen Weg. Gut, ich glaube, wir können Estela jetzt ins Schlafzimmer bringen.«
VI
Naß bis auf die Knochen, auf einer Decke zusammengekrümmt, die vom Matsch nicht mehr zu unterscheiden ist, hört der kurzsichtige Journalist vom Jornal de Notícias die Kanone donnern. Teils des Regens, teils der unmittelbar bevorstehenden Schlacht wegen schläft niemand. Er horcht angestrengt: Läuten noch immer die Glocken von Canudos in der Dunkelheit? Er hört nur, in Abständen, Kanonenschüsse und die Trompeten, die das Signal Angreifen und Metzeln blasen. Ob die Jagunços der Pfeifensinfonie, mit der sie das Siebte Regiment seit Monte Santo peinigen, auch einen Namen gegeben haben? Er ist unruhig, nervös, er klappert vor Kälte. Er denkt an seinen Kollegen, den verfrorenen Alten, der mit den halbnackten Kinder-Soldaten hinter dem Heer zurückgeblieben ist und zu ihm gesagt hat: »In der Backofentür verbrennt das Brot, junger Freund.« Ob er gestorben ist? Ob ihn und diese Halbwüchsigen dasselbe Schicksal ereilt hat wie den blonden Leutnant und die Soldaten seiner Patrouille, die sie am Abend in den Ausläufern der Serra gefunden haben? Jetzt antwortet die Glocke da unten den Regimentstrompeten, ein Zwiegespräch im regnerischen Dunkel, Auftakt zu dem Dialog, den Flinten und Gewehre eröffnen werden, sobald der Tag anbricht.
Das Schicksal des blonden Leutnants und seiner Patrouille hätte auch seines werden können: er war drauf und dran, ja zu sagen, als ihm Moreira César vorschlug, sie zu begleiten. Hat ihn die Müdigkeit gerettet? Eine Vorahnung? Zufall? Es war am Tag zuvor, aber in seiner Erinnerung liegt es lange zurück, denn gestern erschien ihm Canudos noch unerreichbar. Die Spitze der Kolonne bleibt stehen, und der kurzsichtige Journalist erinnert sich, daß ihm die Ohren sausten, daß ihm die Beine zitterten, daß seine Lippen aufgesprungen waren. Der Oberst führt sein Pferd am Zügel, und Offiziere und Mannschaften sind nicht mehr zu unterscheiden, der Staub macht sie gleich. Er gewahrt die Müdigkeit, den Schmutz, die Entbehrungen rings um sich. Ein Dutzend Soldaten verlassen die Reihen, kommen im Geschwindschritt her, stehen stramm vor dem Oberst undCunha Matos. Den Befehl hat der junge Leutnant, der den Pfarrer von Cumbe gefangengenommen hat. Er hört ihn die Hacken zusammenschlagen, den Auftrag wiederholen:
»Ich setze mich in Caracatá fest und nehme die Schlucht unter Sperrfeuer, sobald der Sturm beginnt.« Er sieht ebenso entschlossen, jung und optimistisch aus, wie er ihn auf dem ganzen Marsch gesehen hat. »Keine Angst, Exzellenz, durch Caracatá entkommt kein Bandit.«
War der Spurensucher neben dem Leutnant derselbe, der die Patrouille auf der Suche nach Wasser geführt hat? Er jedenfalls hat die Soldaten in diesen Hinterhalt gelockt, und der kurzsichtige Journalist denkt, daß er selbst nur durch ein Wunder noch da ist, durchnäßt, verstört, wirr im Kopf, aber am Leben. Oberst Moreira César sieht ihn sitzen, erschöpft, verkrampft, mit seinem Schreibbrett auf den Knien.
»Wollen Sie mit der Patrouille gehen? In Caracatá sind Sie sicherer als bei uns.«
Was hat ihn veranlaßt, nach kurzem Schwanken nein zu sagen? Er erinnert sich, daß der junge Leutnant und er sich mehrmals unterhalten haben: nach dem Jornal de Notícias hat er ihn gefragt, nach seiner Arbeit. Moreira César sei der Mann, den er auf der Welt am meisten bewundere. »Noch mehr als Marschall Floriano Peixoto«, und wie Moreira César glaube auch er, daß Zivilisten an der Regierung eine Katastrophe für die Republik seien, eine Quelle der Korruption und der Zwietracht, und daß nur Männer in Uniform und Degen das unter der Monarchie erniedrigte Vaterland erneuern könnten.
Hat es aufgehört zu regnen? Der kurzsichtige Journalist legt sich auf den Rücken, ohne die Augen zu öffnen. Ja, es tropft nicht mehr, diese Wasserspritzer kommen vom Wind, der über den Hang fegt. Auch die Kanonade hat aufgehört, und in seinem Bewußtsein schiebt sich das Bild des alten, verfrorenen Journalisten über das des Leutnants: das gelblichweiße Haar, das gutmütige Gesicht verstört, der Schal, die Fingernägel, die er betrachtete, als ob das Nachdenken
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