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Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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von Rufino ab: »Die regionale Autonomie und die Dezentralisierung sind nichts als Vorwände, die Gouverneur Viana, Baron de Canabrava und ihre Sbirren dazu benützen, sich ihre Privilegien zu erhalten und zu verhindern, daß Bahia ebenso modernisiert wird wie die anderen Bundesländer Brasiliens. Wer sind die Autonomisten? Verkappte Monarchisten, die das korrupte Kaiserreich wiederherstellen und die Republik morden würden, wenn wir nicht wären! Aber die Progressive Republikanische Partei von Epaminondas Gonçalves wird das nicht zulassen ...« Es ist ein anderer Redner als vorhin, er spricht klarer, Galileo versteht alles, was er sagt, er scheint sogar eine Idee im Kopf zu haben, während sein Vorgänger nur Gebrüll anzubieten hatte. Soll er ans Fenster gehen und hinausschauen? Nein, er rührt sich nicht von seinem Bett, er ist sicher, daß sich die Lage draußen nicht verändert hat: Gruppen von Neugierigen, die die Stände mit Essen und Getränken aufsuchen, den Wandererzählern zuhören oder um den Mann auf Stelzen herumstehen, der das Schicksal voraussagt, und manchmal lassen sie sich herbei, einen Moment vor der kleinen Tribüne stehenzubleiben, nicht um zu hören, sondern um zu sehen, wie die Progressive Republikanische Partei, von Leibwächtern mit Schießeisen geschützt, ihre Propaganda betreibt. Ihre Gleichgültigkeit ist Weisheit, denkt Galileo Gall. Was haben die Leute von Queimadas davon, wenn sie erfahren, daß die Autonomistische Partei des Barons de Canabrava gegen das zentralistische System der Republikanischen Partei ist und diesewiederum den Dezentralismus und den Föderalismus bekämpft, für den ihre Gegner eintreten? Haben die Wortgefechte der bürgerlichen Parteien irgend etwas mit den Interessen der Armen zu tun? Sie haben recht, wenn sie das Volksfest ausnützen und sich um das, was die auf der Tribüne sagen, nicht kümmern. Am Abend zuvor hat Galileo Gall eine gewisse Erregung in Queimadas festgestellt, nicht wegen der Veranstaltung der Progressiven Republikanischen Partei, sondern weil sich die Leute fragten, ob die Autonomistische Partei des Barons de Canabrava einen Schlägertrupp schicken würde, um ihren Feinden das Fest zu vereiteln, und ob es, wie andere Male auch, zu Schießereien kommen würde. Es ist Vormittag, bis jetzt ist nichts passiert und es wird wohl auch nichts passieren. Wozu sollten sie sich die Mühe machen, ein derart schwach unterstütztes Meeting anzugreifen? Gall denkt, daß die Volksfeste der Autonomisten vermutlich um kein Haar anders sind. Nein, hier findet die Politik von Bahia, von Brasilien, nicht statt. Er denkt: Sie findet dort draußen in Canudos statt, bei denen, die nicht einmal wissen, daß sie die echten Politiker dieses Landes sind. Wird er lange warten müssen? Galileo Gall langweilt sich im Bett. Er murmelt: »Die Wissenschaft gegen die Ungeduld.« Er öffnet ein Köfferchen, das auf dem Boden steht, schiebt Wäsche und einen Revolver beiseite, holt das Heft heraus, in dem er sich dieser Tage, um ein paar Stunden totzuschlagen, Notizen über die Lohgerber von Queimadas gemacht hat. Er überfliegt, was er geschrieben hat: »Häuser aus Ziegeln mit Ziegeldächern, plumpe Säulen. Überall Bündel von Angico-Rinde, die mit Hammer und Messer geschnitten und gehackt wird. Sie werfen den Angico in Tröge voll Flußwasser. Die Felle werden hineingelegt, nachdem sie enthaart worden sind, und müssen etwa acht Tage durchweichen, so lange, bis sie gegerbt sind. Aus der Rinde des Angico-Baums kommt das Tanin, die Gerbsubstanz. Dann werden die Felle im Schatten aufgehängt, bis sie getrocknet sind, und mit dem Messer die Rückseite abgeschabt. Mit diesem Verfahren gerben sie die Felle von Kühen, Kälbern, Ziegen, Kaninchen, Rehen, Füchsen und Luchsen. Der Angico ist blutfarben und stark riechend. Die Lohgerbereien sind primitive Familienbetriebe, Vater, Mutter, Kinder und nahe Verwandte arbeiten gemeinsam. Das Rohleder ist der bedeutendste Reichtum von Queimadas.« Er legt das Heft in die Tasche zurück. Die Lohgerber hatten sich entgegenkommend gezeigt, sie hatten ihm ihre Arbeit erklärt. Warum sprachen sie so ungern über Canudos? Mißtrauten sie einem, dessen Portugiesisch sie nur mit Mühe verstanden? Er weiß, daß Canudos und der Ratgeber das Hauptgespräch in Queimadas sind. Aber trotz all seiner Versuche hat er mit niemandem über dieses Thema sprechen können, nicht einmal mit Rufino und Jurema. Sooft er es angeschnitten hat, in den

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