Der Krieg am Ende der Welt
Nacional. Die einen waren anfangs organisierte Trupps gewesen, von Fazenda-Besitzern aus Arbeitern und Kleinbauern aufgestellt für die Kämpfe, die bei Streit um Grenzen, Wasser und Weiden oder aus politischem Ehrgeiz zwischen ihnen ausbrachen. Dann aber hatten sich viele dieser mit Stutzen und Macheten bewaffneten Gruppen selbständig gemacht und zogen raubend und plündernd auf eigene Faust umher. Zu ihrer Bekämpfung waren die Mobilen Einheiten gebildet worden. Die einen wie die anderen zehrten die Vorräte der Einwohner von Custodia auf, betranken sich an ihrem Zuckerrohrschnaps und waren scharf auf ihre Frauen. Noch ehe er seinen Verstand gebrauchen konnte, lernte João, sobald Alarm geschlagen wurde, Flaschen, Lebensmittel und andere Waren in die Verstecke zu schaffen, die Zé Faustino angelegt hatte. Von diesem ging das Gerücht, er stecke mit den Banditen unter einer Decke, mache Geschäfte mit ihnen und verhelfe ihnen zu Informationen und Verstecken. Ihn machte das wütend. Hatten sie nicht gesehen, wie sein Geschäft ausgeraubt worden war? Nahmen sie nicht Wäsche und Tabak mit, ohne einen Centavo zu bezahlen? João hörte oft, wie sich sein Onkel über diese dummen Geschichten beklagte, die ihm die Leute von Custodia aus Neid anhängten. »Sie werden mir noch Scherereien machen«, murmelte er. Und so geschah es auch. Eines Morgens kam eine Mobile Einheit, dreißig Polizisten unter dem Befehl des Fähnrichs Geraldo Macedo, eines Halbblutindianers, jung und als besonders grausam verschrien, nach Custodia. Sie waren hinter der Bande von Antônio Silvino her. Der war zwar nicht durch Custodia gekommen, aber der Fähnrich beharrte darauf, er sei doch da gewesen. Er war großund von guter Figur, schielte aber ein wenig und hatte die Angewohnheit, ständig an seinem Goldzahn zu lecken. Es hieß, er verfolge die Banditen mit solcher Erbitterung, weil seine Braut von Räubern vergewaltigt worden sei. Während seine Leute die Häuser durchsuchten, verhörte der Fähnrich persönlich die Einwohner. Bei Anbruch der Nacht kam er triumphierend in den Laden und befahl Zé Faustino, ihn zu dem Schlupfwinkel zu führen, in dem sich Silvino aufhalte. Noch ehe der Kaufmann antworten konnte, streckte ihn der andere mit einem Fausthieb zu Boden. »Ich weiß alles, Kerl. Sie haben dich verpfiffen.« Weder Beteuerungen seiner Unschuld noch die flehentlichen Bitten Dona Angelas halfen Faustino. Zur Abschreckung für alle Helfershelfer der Räuber, sagte Macedo, werde er Zé Faustino am Morgen erschießen, wenn er ihm den Schlupfwinkel Silvinos nicht verrate. Endlich schien der Kaufmann einzuwilligen. Am Morgen in aller Frühe brachen Macedos dreißig Soldaten, Zé Faustino an der Spitze, von Custodia auf, in der Gewißheit, die Banditen überraschen zu können. Aber nach einigen Stunden Marsch hatte sie Zé Faustino in die Irre geführt, und weil er Repressalien gegen seine Angehörigen fürchtete, kehrte er nach Custodia zurück. Der Fähnrich holte ihn ein, als er eben ein paar Sachen zusammenpackte. Er hätte nur ihn umgebracht, aber weil Dona Angela dazwischentrat, tötete er auch sie. Den kleinen João, der sich an sein Bein hängte, schlug er mit dem Lauf seines Revolvers ohnmächtig. Als João wieder zu sich kam, sah er die Einwohner von Custodia mit zerknirschten Gesichtern an zwei Särgen die Totenwache halten. Er wies ihre Liebkosungen zurück, und während er sich mit der Hand über sein blutiges Gesicht wischte, sagte er ihnen mit einer Stimme, die erwachsen geworden war – er zählte damals erst zwölf Jahre –, eines Tages werde er zurückkommen, um seinen Onkel und seine Tante zu rächen, denn deren wahre Mörder seien sie.
Der Gedanke an Rache half ihm, die Wochen zielloser Wanderungen in einer mit Mandacarús gespickten Wüste zu überleben. Am Himmel sah er die Geier ihre Kreise über ihm ziehen in der Hoffnung, er werde zusammenbrechen und sie könnten herabstoßen und ihn zerhacken. Es war Januar und noch war kein Tropfen Regen gefallen. João sammelte trockene Früchte,saugte Saft aus den Palmen, aß sogar ein verendetes Gürteltier. Zuletzt half ihm ein Ziegenhirt, der ihn, von Lanzen, Pferden und dem Senhor de Bonfim phantasierend, neben einem ausgetrockneten Flußbett fand. Mit einer Tasse Milch und ein paar Bissen Zuckerkruste brachte er ihn wieder zu sich. Mehrere Tage lang gingen sie gemeinsam in Richtung Hochebene von Angostura, wohin der Ziegenhirt seine Herde trieb. Aber ehe sie ankamen,
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