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Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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nicht da war, und bezahlte sie dafür, daß sie sich schlagen ließen. Da waren sie wieder, die Tränen des armen Teufels in der Nacht, als er ihn zur Rede stellte, sein Bekenntnis, daß er Lust nur verspüre, wenn er züchtige, daß er nur lieben könne, wenn er einen zerschlagenen, furchtsamen Körper vor sich habe. Er dachte oder träumte, er höre ihn wieder um Hilfe bitten, und wie in jener Nacht betastete er ihn im Halbschlaf, fühlte die Wölbung in der Zone der niederen Affekte, die Temperatur dieser Erhebung, in der Spurzheim das Organ der Sexualität lokalisierte, und an der Unterseite des Hinterkopfs, fast schon am Halsansatz, die Deformation der Mulden, die den Destruktionstrieb darstellen. (Und zugleich erlebte er noch einmal die warme Atmosphäre im Studierzimmer Mariano Cubís und hörte ihn, wie immer in solchen Fällen, Jobard Le Joli alsBeispiel anführen, den Genfer Brandstifter, dessen Kopf er vor der Enthauptung untersucht hatte: »Bei ihm war diese Region der Grausamkeit so ausgeprägt, daß sie wie ein Tumor wirkte, wie eine Schwangerschaft des Schädels.«) Dann nannte er ihm das Heilmittel: »Nicht das Laster mußt du aus deinem Leben verdrängen, Genosse, sondern das Geschlecht«, und erklärte ihm, daß sich die zerstörerische Potenz seiner Natur, wenn ihr der Weg des Geschlechtlichen versperrt sei, auf ethische und soziale Ziele richten und seine Energie im Kampf um die Freiheit und die Aufhebung der Unterdrückung vervielfachen werde. Und ohne Beben in seiner Stimme machte er ihm noch einmal den brüderlichen Vorschlag: »Tun wir es gemeinsam. Ich will dich in deinem Entschluß begleiten, um dir zu beweisen, daß es möglich ist. Schwören wir, Bruder, daß wir keine Frau mehr anrühren werden.« Ob der Apotheker den Schwur gehalten hatte? Er erinnerte sich an seinen konsternierten Blick, an seine Stimme in jener Nacht, und dachte oder träumte: Er war ein Schwächling. Die Sonne drang durch seine geschlossenen Lider, versehrte seine Pupillen.
    Er war kein Schwächling, er hatte bis zu diesem Morgen seinen Schwur gehalten. Denn Verstand und Wissen gaben dem, was anfangs nur ein Impuls, eine kameradschaftliche Geste gewesen war, die Begründung und die Kraft. War das Suchen nach Lust, die Unterwerfung unter die Triebe nicht eine Gefahr für einen Mann, der sich auf einen gnadenlosen Krieg eingelassen hatte? Lenkten ihn die sexuellen Bedürfnisse nicht ab von seinem Ideal? Was Gall in diesen Jahren quälte, war nicht, daß er die Frau aus seinem Leben verbannt hatte, sondern der Gedanke, daß auch die Feinde, die katholischen Priester, taten, was er tat, obwohl er sich sagte, daß seine Gründe nicht wie bei ihnen dem Obskurantismus und Vorurteilen entsprangen, sondern dem Willen, leichter, verfügbarer, stärker zu sein für den Kampf um Annäherung und Verschmelzung dessen, was sie mehr als irgend jemand als feindliche Prinzipien zu erhalten gesucht hatten: Himmel und Erde, Materie und Geist. Nie war sein Entschluß in Gefahr gewesen, und Galileo Gall träumte oder dachte: Bis heute. Im Gegenteil, er war fest überzeugt, daß die Abwesenheit der Frau in seinem Leben sich in einen stärkeren geistigen Drang, in eine verstärkte Aktionsfähigkeit umgesetzthatte. Nein, er belog sich schon wieder. Die Vernunft hatte das Geschlechtliche im Wachen unterwerfen können, im Traum nicht. In vielen Nächten dieser Jahre hatten sich verführerische weibliche Formen in sein Bett geschlichen, wenn er schlief, sich an seinen Leib gedrängt und Liebkosungen von ihm erpreßt. Er träumte oder dachte, daß es ihn mehr Mühe gekostet hatte, diesen Traumgestalten zu widerstehen als den Frauen aus Fleisch und Blut, und er erinnerte sich der vielen Male, da er wie Halbwüchsige oder wie die Genossen in den Gefängnissen der ganzen Welt mit diesen ungreifbaren Silhouetten, diesen Erzeugnissen seines Traums, geschlafen hatte.
    Bedrückt dachte oder träumte er: Wie konnte ich? Warum konnte ich? Warum hatte er sich auf die Frau gestürzt? Sie hatte Widerstand geleistet und er hatte sie geschlagen, und tief erschrocken fragte er sich, ob er sie auch noch geschlagen hatte, als sie schon keinen Widerstand mehr leistete und sich ausziehen ließ. Was war geschehen, Genosse? Er träumte oder dachte: Du kennst dich nicht, Gall. Nein, sein eigener Kopf sagte ihm nichts. Aber andere hatten ihn untersucht und impulsive Tendenzen und Neugier an ihm gut entwickelt gefunden, andererseits mangelnde Eignung zum Kontemplativen,

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