Der Krieg Der Diebe
Bekins Wunden geheilt, doch ihr Verstand gesundete nicht mehr. Sie lebte nun in ihrer eigenen Welt und sah ihr Elend und ihre Armut nicht. Auch glaubte sie, das Kind, das in ihrem Schoß wuchs, sei von ihrem Verlobten. Die Geburt, in einer Frühlingsnacht ähnlich dieser, war für beide langwierig und schwer, und keine Hebamme leistete Hilfe. Obgleich Cythen schon mehrmals gesehen hatte, wie man ein Neugeborenes durch einen Klaps zum Atmen anregte, hielt sie dieses ganz still, während Bekin in den Schlaf der Erschöpfung versank, bis sie überzeugt war, daß dieses Baby nicht leben würde. Dann, weil sie sich nur an die halbnackten Halunken im Feuerschein erinnerte, legte sie die kleine Leiche auf die Steine, wo Aasfresser sie bald finden würden.
Wieder kehrten Bekins Kräfte zurück, doch nicht ihr Verstand. Nie mußte sie die grausamen Lektionen lernen, die Cythen hart machten, und nie verlor sie den Wahn, daß jeder Fremde ihr Verlobter sei, der zu ihr zurückgekehrt war. Anfangs versuchte Cythen mit allen Mitteln, ihre Schwester davon abzuhalten, sich diesen Fremden an den Hals zu werfen, und litt jedesmal, wenn es ihr nicht gelang, unter schrecklichem Schuldgefühl. Doch sie fand keine Arbeit, von deren Lohn sie hätten leben können, und die Männer ließen oft irgendwelchen Tand zurück, der in einer der umliegenden Ortschaften versetzt oder verkauft werden konnte - und Bekin war bereit, mit jedem Mann zu gehen. So verdiente die ältere Schwester nach einer Weile ihren gemeinsamen Unterhalt, während die jüngere, die das Schwert schon immer der Nadel vorgezogen hatte, die Kunst des Tötens lernte und die Kleidung der toten Männer trug.
Als die ungewöhnlichen Schwestern nach Freistatt kamen, ergab es sich wie von selbst, daß Cythen unter Jubals Söldnern, den Falkenmasken, aufgenommen wurde. Bekin schlief sicher in des Sklavenhändlers Bett, wann immer er sie begehrte, und so fand die jüngere Schwester zumindest ein gewisses Maß an innerer Ruhe. Als die von der Hölle gesandten Hurensöhne Jubals Landhaus stürmten, kam Cythen ihrer Schwester erneut zu Hilfe. Diesmal brachte sie sie in die Straße der Roten Laternen, ins Aphrodisiahaus. Myrtis, die Besitzerin, versprach, daß sie nur ausgesuchte, vertrauenswürdige Kunden zu der ewig unschuldigen Bekin lassen würde. Doch jetzt war Bekin, trotz Myrtis ’ Versprechen, seit vier Tagen tot - an einem Schlangengift gestorben.
Der Mondschein verharrte, während die Nacht voranschritt und Cythen wartete. Sie war in sein Silberlicht gehüllt, und ihr Blick vermochte die Dunkelheit jenseits davon nicht zu durchdringen. Zweifellos hatten die Harka Bey diesen Treffpunkt sorgfältig gewählt. Sie hielt ihr Schwert fest und erduldete den Krampf, den der kalte Stein in ihren Beinen verursachte. Um den Schmerz zu überwinden, suchte sie die Gedankenleere, die sie das erste Mal an jenem Tag gefunden hatte, da ihre Welt zusammenbrach und die Zukunft sich ihr verschloß. Es war nicht die phantasievolle Vergessenheit, die Bekins Verstand übernommen hatte, sondern eher eine wachsame Leere, die gefüllt werden wollte.
Trotzdem entging ihr die erste Bewegung in der Dunkelheit am Rand des Mondlichts. Die Harka Bey befanden sich innerhalb der Ruine, ehe sie das schwache Knirschen eines Schuhs auf zerbröckelndem Mauerwerk vernahm.
»Seid gegrüßt«, flüsterte sie, als eine Gestalt sich vom Rest löste und ein kurzes, stabähnliches Schwert aus seiner Scheide zog, die sie wie einen Bogen auf den Rücken geschlungen hatte. Cythen war froh über das Schwert unter ihren Handflächen und über ihre festen Stiefel, die ihr gestatteten, auf die Füße zu springen, während die herankommende Frau ein zweites Schwert, ihrem ersten gleich, zog. Sie erinnerte sich an alles, was Lythande ihr über die Harka Bey hatte sagen können: daß es Frauen waren - Söldnerinnen, Assassinen, Magierinnen -, Frauen ohne jegliche Skrupel.
Cythen wich zurück und verbarg ihre Besorgnis, als die Frau das Klingenpaar mit atemberaubender, tödlicher Flinkheit um sie herumwirbelte. Jetzt, fünf Monate nach ihrer Ankunft, hatte fast jeder in Freistatt von der unvergleichlichen Fechtkunst der Beysiber Aristokratie gehört, aber wenige hatten auch bloß bei einem Übungskampf mit Holzschwertern zusehen dürfen, geschweige denn bei einer Demonstration so gefährlicher Kunstfertigkeit wie die dieser Frau hier.
Cythen nahm die Fechtstellung eines rankanischen Offiziers ein - die vor dem Erscheinen der
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