Der Krieg der Ketzer - 2
allen Mitteln der Kirche gegen Charis vorzugehen, kann Charis dann noch überstehen?«
»Das weiß ich nicht«, erwiderte Gray Harbor ebenso leise. »Ich weiß es wirklich nicht. Bevor Ihr eingetroffen seid, hätte ich gesagt, wir könnten es nicht – kein einzelnes Reich würde darauf auch nur hoffen können. Jetzt sehe ich zumindest die Möglichkeit – aber auch wirklich nicht mehr als nur ›die Möglichkeit‹.«
»Es war nicht meine Absicht, Charis in einen unmittelbaren Konflikt mit der Kirche zu treiben«, gab Merlin zurück. Zumindest noch nicht, setzte er für sich selbst mit geradezu schmerzhafter Ehrlichkeit innerlich hinzu. Nicht, solange wir nicht das Königreich zu etwas gemacht haben, das diese Konfrontation wirklich würde überstehen können.
»Ich habe nie gesagt – oder auch nur gedacht –, das könne der Fall sein«, erwiderte Gray Harbor. »Aber die Wahrheit ist, Merlin, dass ich schon vor langer Zeit akzeptiert habe, dass wir die Katastrophe bestenfalls eine Zeit lang würden abwenden können. Vielleicht, solange ich noch lebe. Vielleicht sogar, solange Cayleb noch lebt. Aber bestimmt nicht länger.«
Merlin blickte zu dem immer noch verbittert dreinschauenden Kronprinzen hinüber, und Cayleb nickte. Einen kurzen Augenblick lang entglitt ihm die Maske der Bitterkeit, und Merlin sah dahinter die unerschütterliche Fröhlichkeit dieses jungen Mannes, der selbst noch angesichts dieser endlosen Hoffnungslosigkeit nicht aufzugeben bereit war.
Das scheint ein Tag der Enthüllungen zu sein, dachte er, während Gray Harbor schon weitersprach.
»Es ist durchaus möglich, dass die Dinge, die Ihr bewirkt habt, die Skepsis und das Misstrauen des Rates diesem Königreich gegenüber vorantreiben wird – aber dieser Tag wäre früher oder später ohnehin gekommen, mit oder ohne Euch. Seine Majestät hat die Entscheidung, einen in Charis geborenen Priester zum Bischof von Tellesberg zu ernennen, wahrlich nicht leichthin gefällt, und Bischof Maikel sieht den heraufziehenden Sturm ebenso deutlich wie jeder andere von uns. Das Einzige, was sich geändert hat, das ist, dass Ihr es uns ermöglicht habt, diesen Sturm auch zu überleben. Und wenn dem nicht so ist – wenn mein Königreich, mein König und mein Prinz und all das, wovon wir glauben, dass Gott es von uns verlangt, ohnehin der Vernichtung anheimfallen –, dann ist das immer noch ein besseres Schicksal, als wenn wir alle tributpflichtige Sklaven von jemandem wie Hektor würden. Oder …« – der Graf blickte Merlin geradewegs in die Augen – »… die Sklaven eines Rates der Vikare, der durch seine eigene weltliche Macht so korrumpiert wurde, dass er die Autorität Gottes selbst dazu nutzt, sich in dieser Welt zu bereichern.«
»Vater stimmt dem zu«, sagte Cayleb leise. »Und ich ebenfalls, Merlin.« Auch der Kronprinz blickte Merlin jetzt in die Saphiraugen. »Vielleicht versteht Ihr nun langsam, warum Vater Euch so bereitwillig zugehört hat, als Ihr aufgetaucht seid. Glaubt nicht, dass einer von uns – oder auch Bischof Maikel – nicht bemerkt hätte, wie sorgsam Ihr vermieden habt, die Kirche offen zu kritisieren. Und glaubt nicht, wir hätten nicht bemerkt, dass Euch nicht entgangen ist, wie sehr das, was wir glauben und was wir für unsere Pflicht unseren Untertanen gegenüber halten, letztendlich eine Bedrohung für den Rat darstellt.«
Jetzt legten sich Schatten über die Augen des Prinzen, und in diesen Schatten erkannte Merlin auch, dass Cayleb sich an ein Gespräch erinnerte, das sie nach dem Angriff der Kraken geführt hatten.
»Das tue ich nicht«, sagte er dann.
»Gut«, gab Gray Harbor zurück, und nun sprach auch er so leise wie Cayleb zuvor. Doch dann holte er tief Luft und sprach anschließend deutlich kräftiger weiter.
»Damit kommen wir nun wieder zu Eurem Experimental-Geschwader zurück. Während ich natürlich niemals einem Fürsten der Kirche ein Missgeschick gleichwelcher Art wünschen würde …« – sein Lächeln, das entging Merlin nicht, war nachgerade gehässig – »… muss ich doch zugeben, dass dieser Unfall, der es verhindert hat, dass Erzbischof Erayk seine Gemeinde in der gewohnten Art und Weise hat aufsuchen können, uns einen gewissen, angenehmen Zeitpuffer verschafft hat. Wenn er schließlich doch hier eintrifft, werden Pater Paityrs Berichte es wahrscheinlich noch schwieriger für den Rat machen, über jedwede offizielle Sanktionen gegen uns auch nur nachzudenken. Und …« – nun bedachte
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