Der Krieg der Trolle
Natiole schlang seine Arme um den Gegner. Sein Atem ging stoßweise, das Schwert lag verkantet in seiner Hand.
» Natiole?«
Die bekannte Stimme ließ Natiole den Griff lockern. Er blinzelte. » Artaynis?«
Als er den Kopf hob, sah er ihr Gesicht direkt vor sich. Ihre Augen waren geweitet und ihr Mund vor Überraschung geöffnet.
» Agdele sei Dank!«
Natiole schluckte und schüttelte ungläubig den Kopf. » Ich … Was tust du …«
Sie schloss die Augen, atmete tief durch. » Ich hätte dich beinahe erdolcht«, erklärte sie.
Erst jetzt spürte er die kalte Spitze an seinem Bauch. Er zuckte zurück. Ihre Hand war zwischen ihnen, die Finger um den Griff eines langen Dolches gelegt.
» Aber ich bin unendlich froh, dass es nicht so weit gekommen ist.« Sie ließ den Dolch sinken.
In Natiole tobten die Gedanken und Gefühle. Ohne zu wissen, was er sonst hätte tun können, um sie auszudrücken, umarmte er Artaynis.
43
D er Weg zurück zu dem Bauernhof war ein einziger Albtraum. Camila war – wie die anderen Gefangenen auch – an den Händen gefesselt, und Cerail zog sie hinter sich her. Mehrfach stolperte sie und fiel hin. Cerail riss ihr die Arme nach vorn, und sie landete mit dem Gesicht im Dreck. Ihr ganzer Körper schmerzte, ihre Schultern fühlten sich an, als ob ihr bald die Knochen aus den Gelenken springen würden, und ihre Hände waren taub und weiß.
Bei jedem Sturz lachten die Soldaten um sie herum und bedachten sie mit beißendem Spott. Sie wurde rüde gepackt und auf die Beine gestellt, bekam Stöße in die Rippen und den Rücken und musste weitertaumeln. Die Gruppe ging schnell, lief fast, und den Gefangenen blieb nichts übrig, als sich ihrer Geschwindigkeit anzupassen.
Der alte Mann, den Camila für den Anführer hielt, hielt das Tempo mühelos, obwohl er gebeugt vorwärts schritt. Aus den Augenwinkeln konnte sie manchmal einen Blick auf ihn erhaschen. Auf seinen seltsamen, geschmeidigen Gang und die Art, wie er seinen Kopf hin und her bewegte. Aber meist musste sie sich ganz auf ihre Füße konzentrieren.
Als sie den Bauernhof endlich erreichten, sank Camila ermattet auf die Knie. Die Soldaten verteilten sich, holten Wasser aus einem kleinen Brunnen, tranken und scherzten.
» Gebt ihnen auch etwas«, befahl Cerail überraschenderweise, bevor sie das raue Seil an einen pockennarbigen Krieger übergab und dem Alten ins Haus folgte.
Als man ihr eine Kelle voll Wasser vor den Mund hielt, trank Camila gierig. Danach schämte sie sich dafür, eine derartige Schwäche gezeigt zu haben.
» Aufstehen«, knurrte der Soldat und zerrte so fest an dem Seil, dass Camila vor Schmerz keuchte. Unsicher erhob sie sich.
Der Hof war nicht groß – ein kleines Bauernhaus, flankiert von einem Stall und einem Schuppen. Camila wurde zu dem Stall gebracht.
» Immer hinein in die gute Stube«, rief eine Soldatin mit einem heiseren Lachen, als der Pockennarbige das Tor öffnete. Bevor Camila in das schattige Innere treten konnte, gab er ihr einen Stoß in den Rücken, und sie landete auf Händen und Knien in dem düsteren Raum.
Das Erste, was ihr auffiel, war der Geruch. Es stank nach Exkrementen, nach Tod, so widerwärtig, dass es ihr beinahe den Atem nahm. An der hinteren Wand war ein großer Haufen Heu aufgeschichtet, aber die Abteile für die Tiere waren leer. Über ihr ertönte ein Knarzen. Camila blickte auf.
Sieben Körper hingen von den hohen Dachbalken des Stalls herab. Seile lagen um die Hälse, die Köpfe waren nach vorn oder zur Seite gebogen, die Lippen blau und geschwollen, die Augen weit geöffnet. Durch das Öffnen und Schließen des Tores war ein Lufthauch in den Stall gefahren, und so bewegten sich die Gehängten leicht, drehten sich an ihren Seilen. Zwei Kinder waren darunter, eine alte Frau, ihr weißes Haar lockig und wirr.
Camila spürte, wie Übelkeit in ihr aufstieg. Es lag nicht am Tod. Geistseher wurden oft gerufen, wenn der Tod kurz bevorstand, um Sterbende zu begleiten und die Geister um Schutz auf den Dunklen Pfaden zu bitten. Sondern es lag an der Unbekümmertheit, mit der die Toten hängen gelassen worden waren. Ihre Haut war grau, ihre Kleidung beschmutzt. Man hatte ihnen im Tod auch noch ihre Würde genommen.
Es musste sich um die Familie handeln, die den Hof bewirtschaftet hatte. Sie alle waren in ihrer eigenen Scheune getötet und dann dort gelassen worden, als seien sie nicht mehr als Fleisch, das man zum Räuchern aufhängt.
» Mögen die Geister euch schützen«,
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