Der Krieg der Trolle
einmal fallen ließ. In dieser Nacht war es jedoch schwierig. Am Rande ihres Bewusstseins konnte sie ihn spüren, aber stets, wenn sie ihre Aufmerksamkeit auf ihn richtete, verschwand er wieder. Den Naturgeistern sollte ein Geistseher keine bestimmten Gefühle zuordnen, so hatte man es sie gelehrt, denn sie nahmen die Welt anders wahr und empfanden anders. Versuche, ihre Eigenschaften mit jenen der Sterblichen zu vergleichen, waren selten fruchtbar. Dennoch kam es Camila so vor, als sei der Geist aufgeregt oder nervös, vielleicht sogar beunruhigt. Unzufrieden atmete sie tief ein und aus, öffnete die Augen und legte ihre Hände in den Schoß.
» Du spürst es auch.«
Die Worte erschreckten sie, aber es gelang ihr, sich nicht ruckartig umzudrehen. Stattdessen legte sie den Kopf schräg und überlegte kurz, bevor sie antwortete: » Ich spüre etwas, aber ich weiß nicht, was es ist.«
» Veränderung.«
Jetzt wandte sie sich um. Hinter ihr standen zwei Frauen und ein Mann.
» Adan«, grüßte sie den Sprecher respektvoll und neigte den Kopf. Die Neuankömmlinge erwiderten den Gruß und setzten sich zu ihr. Adan war ein hochgewachsener Mann mit kurz geschorenem Haar, das ebenso viel Schwarz wie Grau aufwies. Er trug einfache, helle Kleidung und kein Abzeichen, das seinen Rang verriet, und trotzdem strahlte er eine große Würde aus. Seine Schülerinnen, zwei junge Wlachakinnen, die eine groß und schlank, die andere klein und drahtig, hielten etwas Abstand zu ihm, während er sich Camila gegenüber hinkniete und nach oben sah, in die Krone des Baums.
Er wies mit seiner sehnigen Hand auf das Blätterdach. » Ich habe es auch an anderen Orten gespürt. Die Geisterwelt ist unruhig. Sie bemerken etwas.«
» Was könnte das sein? Was für eine Veränderung?«, fragte Camila.
» Ich weiß es nicht«, gestand er freimütig. Er lächelte, und seine dunklen Augen wirkten im Mondlicht wie aus Silber gegossen. Seine Fähigkeit, eigene Fehler, Versäumnisse oder Unwissen einzugestehen, hatte Camila schon beeindruckt, als sie noch ein junges Mädchen und seine Schülerin gewesen war, so wie die beiden jungen Frauen es jetzt waren. Er hatte ihr so viel beigebracht, und sie bewunderte sein Wissen noch heute. Er wirkte kaum einen Tag älter als damals, obwohl er inzwischen an die fünfzig Sommer gesehen haben musste.
» Vielleicht braut sich im Osten etwas zusammen«, begann Adan.
» Es gab Probleme an der Grenze zum C ireva«, erklärte Camila. » Einen Streit, aber es waren Wlachaken, die ihn vom Zaun gebrochen haben. Sie sind auf das Land der Masriden gezogen und …«
Adan schnaubte leise, was Camila verstummen ließ.
» Das Land der Masriden«, wiederholte er verächtlich. » Ihr Land. Glaubst du das wirklich, Camila?«
Wieder überlegte die junge Geistseherin gut, bevor sie antwortete: » Vielleicht spielt es keine Rolle, was ich glaube. Natiole cal Sare s glaubt daran. Und im Osten herrscht seine Cousine Ana als Fürstin, und sie hat den Masriden ihre Macht gelassen. Es ist ihr Land, denn die Fürstin hat es ihnen gegeben.«
» Sie ist selbst eine halbe Masridin und offenbar unfähig, gegen ihr Masridenblut zu handeln«, entgegnete eine der Schülerinnen, die kleinere namens Elia. » Sie nennt sich selbst Békésar!«
» Sie ehrt ihren Vater, und ist es nicht das, was unsere Tradition uns lehrt? Dass wir unsere Eltern und Vorfahren ehren sollen?« Adan drehte sich zu Elia um, die den Blick sogleich senkte und nickte. Dann wandte er sich wieder an Camila: » Aber sie hat nicht ganz Unrecht. Anas Ohr gehört dieser Sciloi, dieser Szarkin, die schon dem Schlächter Zorpad gedient hat. In ihrem engsten Kreis finden sich viele Masriden. Sie ist eine gute Frau aus einer stolzen Familie, aber sie wird schlecht beraten.«
» Sie sorgt sich um ihre Leute. Und dazu gehören nun einmal Masriden ebenso wie Wlachaken. Und Szarken.«
» Das stimmt.« Adan lächelte. » Und es ehrt sie. Aber ihr Volk sind nicht nur die Masriden und die Szarken. Es sind nicht nur jene, die in den Osten geflohen sind, als wir unser Land zurückerobert haben. Es sind auch die Wlachaken im Osten und die Wlachaken hier, unser Volk. Sie könnte diesen Konflikt einfach beenden, wenn sie nur unseren Voivoden auch als ihren Herrn anerkennen würde. Wenn sie ihm die Würde des Königs andienen und ihr Knie vor ihm beugen würde. Sie würde ihre Provinzen und ihr Volk behalten, unter seiner Herrschaft, und Wlachkis wäre wieder ein Land!«
Die Worte
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