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Der Krieg, der viele Vaeter gatte

Der Krieg, der viele Vaeter gatte

Titel: Der Krieg, der viele Vaeter gatte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Schultze-Rhonhof
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Bemühungen der deutschen Außenpolitik, die Selbstschutzfähigkeit des Reichs im Einvernehmen mit den Siegermächten wiederherzustellen, laufen geheime Vorbereitungen für einen späteren Wiederaufbau deutscher Streitkräfte. Die Heimlichkeit hat gute Gründe. Die Maßnahmen, die der späteren Sicherheit des eigenen Landes dienen sollen, dürfen nicht selber zu einem Anlaß für einen neuen Krieg der Sieger gegen das nicht mehr verteidigungsfähige Deutschland werden.

    Das Truppenamt der Reichswehr stellt im Februar 1924 in einer Bestandsaufnahme fest, daß die dem Reich verbliebenen zehn Divisionen nur über Munition für eine Einsatzdauer von etwa einer Stunde Kampf verfügen. Der Bericht des Truppenamtes zu dieser Sache folgert, daß sich Deutschland im Falle eines Krieges notgedrungen auf den hinhaltenden Widerstand der Grenzbevölkerung verlassen müßte. Der Bericht schließt mit der Bemerkung:
    „Heute und in absehbarer Zeit ist die Aufnahme eines Krieges nur eine
    heroische Geste" 29 .
    Die Reichsmarine liegt zur gleichen Zeit weit unter dem in Versailles zugestandenen Bestand an Schiffen, und eine Luftwaffe zu besitzen, ist dem Deutschen Reich verboten.

    Die Unfähigkeit Deutschlands, sich selbst zu schützen, die wiederholten Einmärsche ausländischer Truppen in deutsches Territorium und die angezweifelte Legitimität des aufgezwungenen Vertrages von Versailles lassen die Reichsführung früh damit beginnen, den Wiederaufbau der Selbstschutzfähigkeit des Deutschen Reichs für spätere Zeiten vorzubereiten. Dem steht der Versailler Vertrag entgegen, der im Juli 1919 obendrein als Reichsgesetz verkündet werden mußte. Der Vertrag begrenzt nicht nur die Größen von Heer und Flotte. Er untersagt den Deutschen auch den Besitz fast aller neuzeitlichen Waffen. Artikel 160 des Vertrags legt zudem fest, daß die Reichswehr „ausschließlich zur Auf

    MGFA, DR u. 2. WK, Band 1, Seite 374
    rechterhaltung der Ordnung innerhalb des deutschen Gebietes und als Grenzpolizei" verwendet werden soll. Das heißt nichts anderes, als daß die Reichswehr nicht zur Verteidigung des Staatsgebiets herangezogen werden darf. Trotz dieser Knebelklauseln bleibt es Naturrecht und allgemein anerkanntes Völkerrecht, daß der Schutz der eigenen Bürger vor äußerer Gefahr eine der konstitutiven Aufgaben und Pflichten des Staates – auch des besiegten deutschen Staates – ist. Zudem beginnen viele Siegermächte, die den Vertrag von Versailles beschlossen und geschlossen haben, bald nach dem Krieg, ihn selbst zu brechen. Frankreich zum Beispiel besetzt das Saargebiet mit Militär, und Polen bricht die im Vertrag gesetzten Regeln für die Volksabstimmung im noch immer deutschen Oberschlesien. So ist es bald Konsens in breiten Schichten der Bevölkerung und besonders in der Reichswehr, daß das Wohl des eigenen Landes höher steht als der aufgezwungene und von den Siegern selbst nicht eingehaltene Vertrag. In diesem Sinne versuchen die Reichswehrführung und ab 1927 auch die Reichsregierung die äußere Sicherheit des Deutsches Reichs und seiner Bürger am Versailler Vertrag vorbei wieder aufzubauen.

    Ein Teil der deutschen Wirklichkeit in jener Zeit der 20er Jahre ist aber auch, daß es in der heillos zerstrittenen Parteienlandschaft der damals nicht konsolidierten Republik auch Kräfte gibt, die der Reichswehr skeptisch oder sogar feindlich gegenüberstehen, und die die Verstöße gegen den Versailler Vertrag verurteilen und bekämpfen. Zu einem Konsens des ganzen deutschen Volkes gegen den Vertrag und für die Selbstschutzfähigkeit der Weimarer Republik kommt es deshalb nicht.

    Die Vorbereitungen der für eine spätere Zeit erhofften Wiederaufrüstung finden zunächst innerhalb der Reichswehr im geheimen statt, ab 1927 unter politischer Kontrolle und Verantwortung, und bis 1935 vor dem Ausland abgeschirmt. Die Vorbereitungen sind mannigfaltig. Sie umfassen sowohl die Entwicklung moderner Waffen als auch die neuzeitliche Schulung des Reichswehrpersonals. Sie erstrecken sich zudem auf die planerischen Vorarbeiten für einen späteren Ausbau des kleinen 100.000-Mann-Heeres und der Marine und für den bislang verbotenen Aufbau deutscher Luftstreitkräfte. Die Vorarbeiten korrespondieren mit dem gleichzeitigen diplomatischen Bemühen der Regierung, die Siegermächte bei den Genfer Abrüstungsverhandlungen dazu zu bewegen, selber abzurüsten oder Deutschlands Wiederaufrüstung in Maßen zuzulassen.

    Die heimlichen Vorbereitungen

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