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Der Krieg, der viele Vaeter gatte

Der Krieg, der viele Vaeter gatte

Titel: Der Krieg, der viele Vaeter gatte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Schultze-Rhonhof
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Deutschland, das zu der Zeit weder mit Heeres- noch mit Marinekräften in der Lage wäre, sich notfalls selbst zu schützen, wächst die Erkenntnis, daß Luftstreitkräfte und vor allem Bomber ein probates Mittel wären, fremde Staaten von Übergriffen abzuschrecken, wie sie Deutschland in den letzten 15 Jahren mehrfach wehrlos hat erdulden müssen. Bomber sind – anders als Jagdflugzeuge – das offensive Luftkriegsmittel, den Feind im eigenen Lande zu bedrohen. Und Flugzeuge – so eine weitere Überlegung – lassen sich als Abschreckungswaffen gegenüber den zwei potentiellen Gegnern Frankreich und Polen schneller und mit erheblich weniger Rohstoffaufwand bauen als Schlachtschiffe für die Flotte oder schwere Artillerie und Panzer für das Heer. So gewinnt der Aufbau von Luftstreitkräften vorübergehend eine besondere Bedeutung für die Sicherheit des Reichs. Die an späterer Stelle dieses Buchs erwähnten Sondierungen der polnischen Regierung in Paris zur Jahreswende 1933-34, ob sich Frankreich an einem Präventivkrieg gegen das Deutsche Reich beteiligen wolle, zeigen, daß diese Überlegungen der Reichsregierung zu der Zeit nicht aus der Luft gegriffen sind.

    Die Rüstungsplanung dieser Zeit – bezogen auf die Bomber – legt noch etwas anderes offen. Obwohl viermotorige Langstreckenbomber 1934 durchaus machbar wären – in Rußland baut man sie seit 1930 – verzichten Reichsregierung und Reichswehrführung darauf, solche Bomber für die deutschen Luftstreitkräfte einzuplanen. Das hat seine Gründe. Der erste liegt im hohen Aufwand ihrer Produktion, der zweite spiegelt die Bedrohungslage wider. Niemand in Deutschland, weder Hitler noch der „Reichskommissar für die Luftfahrt" General Göring sehen den Bedarf, Gegner jenseits von Frankreich oder Polen zu bekämpfen. Auch Hitler hat zu der Zeit offensichtlich keine konkreten Ambitionen, später England anzugreifen oder Krieg gegen die Sowjetunion zu führen. So werden in Deutschland nur ein- und zweimotorige Bomber mit Reichweiten bis 500 Kilometer Eindringtiefe vorgesehen und gebaut. Wenn Hitlers Lebensraum-Gedanke 1934 schon so weit gereift gewesen wäre, hätte der Diktator nicht auf den Aufbau einer strategischen Bomberflotte gegen die Sowjetunion verzichtet. Auch der industrielle Mehraufwand für große Bomber wäre für Hitler sicherlich kein Hinderungsgrund gewesen.

    Im Frühjahr 1934 schlagen die Rüstungswellen in der Welt mit einem Male hoch. Am 26. Januar 34 schließt Deutschland einen Nichtangriffspakt mit Polen. Damit steigt die Sicherheit des Deutschen Reichs, doch Frankreichs Paktsystem beginnt dadurch zu bröckeln. Als die britische Regierung dann auch noch vor schlägt, den Deutschen 250.000 Soldaten für das Reichsheer zu erlauben, wird die Entwicklung für die Franzosen – aus deren Perspektive – unerträglich.

    Mit dem Jahre 1934 wechselt Englands Politik, wenn man britischen Kommentaren folgt, ihre Einstellung zu den Mächten auf dem Kontinent. Frankreichs relative Stärke schwächt sich ab und die des Deutsches Reiches wächst. Von nun an ist Deutschland der Rivale Nummer 1. Der britische Militärhistoriker Generalmajor Fuller beschreibt das so:
    „Seit den Tagen der Tudors bis zum Jahre 1914 bestand die Politik Groß
    britanniens darin, das Gleichgewicht der Mächte aufrechtzuerhalten, das
    heißt, die großen Nationen des Kontinents durch Rivalität getrennt zu
    halten und selbst den Ausgleich zwischen ihnen auszuüben. Dieser Aus
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    gleich stellte automatisch fest, wer als Feind in Betracht kam."

    Im Mai 1934, doch noch ehe das nächste deutsche Flugzeugbauprogramm beschlossen wird, fordert das Defence Requirement Committee in London die Aufstellung von 46 Flugzeugstaffeln. Das sind 10, die noch aus dem „52-Schwadronen-Plan" von 1923 fehlen, 10 weitere Schwadronen für die Luftwaffe im englischen Mutterland, dazu 10 für die RAF in Übersee plus 16 für die Flotte. Die Forderung endet mit der Feststellung, daß eigentlich noch 25 weitere Schwadronen von Nöten wären 82 . Im Juli 34, fast zeitgleich mit dem nächsten deutschen Plan, erläßt der britische Oberbefehlshaber der Luftwaffe den ersten RAFErweiterungsplan, mit dem der Bau der Jagdflugzeugmuster Hurricane, Hawker und Spitfire in Auftrag geht 83 . So wird die britische Luftrüstung 1934 zunächst nicht durch eine erkennbare deutsche Luftrüstung angestoßen. Auslöser ist wohl eine Mischung aus der Angst vor Frankreichs Vorsprung und der Furcht vor

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