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Der Krieg, der viele Vaeter gatte

Der Krieg, der viele Vaeter gatte

Titel: Der Krieg, der viele Vaeter gatte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Schultze-Rhonhof
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und in der Tschechoslowakei. Er zeigt bei diesen Worten keine Skrupel, und den Generalen ist dies Thema aus der Realität nicht unbekannt. Aus diesem Siedlungsraum-Gedanken entwickelt Hitler vor den Generalen sein Programm: Konsolidierung der Wirtschaft zur Lösung des von ihm so gesehenen Lebensraum-Problems notfalls unter Einsatz von Streitkräften.

    Der heutige Leser muß sich fragen, warum die Generale hier nicht die Bombe ticken hören, die Hitler offensichtlich in der Tasche trägt. Sicher sind einige der anwesenden Generale über diese Passage des Hitler-Vortrages verwundert oder von ihr alarmiert. Die meisten werden den Gedanken angesichts der Wirklichkeit von 1933 vermutlich für unausgegorenes Zeug halten. Noch ist die Reichswehr ein Zwerg neben den Armeen und Flotten der vielen Nachbarstaaten, noch gelten die Zwangsauflagen von Versailles, noch drückt die hohe Arbeitslosigkeit und noch sind Deutschlands Kassen leer. Da wirken Hitlers Gedanken über einen Angriffskrieg um Kolonien oder Siedlungsraum geradezu grotesk. So kommentiert Generalmajor von Brauchitsch nach dem Vortrag: „Na, der wird sich noch wundern in seinem Leben". Und Oberst Fromm, der Chef des Wehrmacht amts, sagt zu Generalleutnant Freiherr von Fritsch: „daß die maßlosen Vorhaben an der Härte der Tatsachen scheitern und auf ein nüchternes Maß zurückgeführt" werden würden. Der Vortrag eines neuen Regierungschefs, der nach vier Tagen Amtszeit über Siedlungspläne in den nächsten 50 bis 60 Jahren spricht, wird bei einer durchschnittlichen Regierungsdauer der deutschen Kanzler seit 1919 von weniger als einem Jahr auch sicher nicht besonders ernst genommen worden sein.

    Zur Zeit der Rede – das darf nicht übersehen werden – gibt es manche Interpretation, die Hitlers Andeutungen in offensichtlich gutem Glauben als überspitzte Formulierung einer an sich verständlichen Idee entschärft. Zu Anfang des Jahrhunderts ist die Ernährung der Bevölkerung noch eine politische Aufgabe ersten Ranges. Die Erinnerung an das Hungerelend von 1918/19 ist jedermann frisch im Gedächtnis. So sind die einen von Hitlers oft wiederholten Erwähnungen der Lebensraumfrage vorgewarnt, die anderen finden für diesen Hitlerschen Gedanken verharmlosende Erklärungen. Außenminister von Neurath zum Beispiel, der sich sonst nicht scheut, Hitler in Gesprächen mit ihm vertrauten ausländischen Diplomaten zu kritisieren, streitet bei solch einer Gelegenheit kategorisch ab, daß „Lebensraum" die gewaltsame Annektierung fremder Gebiete bedeuten könne. Erläuternd fügt er dem hinzu, daß Hitler damit Mittel für den Lebensunterhalt, Rohstoffe und ähnliches meint, wenn er den Lebensraum erwähnt. Es sei bedauerlich, daß Hitler sich so ausdrückt, als ginge es um Gebietserweiterungen 24 . Daß von Neurath sich hier irrt, gesteht er später selber ein.

    Nicht jedes Säbelrasseln muß auch gleich als Absicht eines Regierungschefs gewertet werden, daß er von sich aus Krieg beginnen will. Der Ausschnitt aus der Antrittsrede aus dem März 1933 zum Beispiel:
    „Die Schwierigkeiten der Nation können nur gemeistert werden, wenn wir
    sie so anpacken, wie wir sie im Kriegsfalle anpacken. Wir müssen vorwärts
    marschieren wie eine gut ausgebildete Armee, die bereit ist, der allgemei
    nen Disziplin Opfer zu bringen, weil ohne Disziplin weder Fortschritt
    möglich ist noch die Führung etwas erreichen kann. Die Nation ist vor
    den Altar der Geschichte getreten und muß die historisch nicht wieder
    kehrende Gelegenheit in gefolgsamer Pflichterfüllung ergreifen, wie sie
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    sonst nur in Kriegszeiten einem Volk abverlangt wird."
    stammt von US-Präsident Roosevelt, als er sein Wirtschafts- und Sozialprogramm des New Deal erklärt. Theatralische Worte und die Erläuterung von Wirtschaftsfragen im Kleide militärischer Phrasen sind – wie das Beispiel zeigt – in den 30er Jahren keine Seltenheit. Auch die amerikanischen Zuhörer werden bei den Worten ihres neuen Präsidenten nicht gleich mit Krieg gerechnet haben.

    Wirsching, Seite 543
Kunert, Seite 63
Kunert, Seite 35

    Das Reden von Frieden, von der Größe Deutschlands und von den Aufbauleistungen der Nationalsozialisten geht bis zum Jahre 1939 weiter. Hitler wettert in seinen Ansprachen oft über den Bolschewismus, die Juden, den Kapitalismus, über das unbelehrbare Bürgertum, über die Kirche und das Ausland. Auch der „enge Lebensraum der Deutschen" ist immer wieder Thema. Obwohl Hitler schon in seinem

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