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Der Krieg, der viele Vaeter gatte

Der Krieg, der viele Vaeter gatte

Titel: Der Krieg, der viele Vaeter gatte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Schultze-Rhonhof
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Weizsäcker, damals Stellvertreter des Außenministers in Berlin, schreibt dazu:

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    Anmerkung des Verfassers
    „ Unsere diplomatischen und Konsulatsberichte aus Polen zeigten, wie
    1939 die Welle immer höher auflief und das ursprüngliche Problem, Dan 160 zig und Passage durch den Korridor, überdeckte."
    Im Sommer verschärfen sich die Spannungen zwischen dem Reich und Polen in immer höherem Tempo und weiterer Dramatik. 161
    Es kommt zu einer Serie von Zwischenfällen und Schußwechseln an den Grenzen. Ausschreitungen gegen die Angehörigen der Minderheiten sind nun an der Tagesordnung. In Galizien läuft eine Verhaftungswelle gegen ukrainische Personen. „Illoyale und staatsfeindliche" Deutsche werden zu Tausenden nach Innerpolen transportiert und in Lagern konzentriert. Polnische Betriebe entlassen massenweise Arbeiter mit deutscher Muttersprache. Junge Deutsche bekommen keine Arbeitsplätze. Eine große Zahl deutscher Firmen muß auf Anordnung der Behörden schließen. In vielen Städten boykottiert man deutsche Läden. Selbst polnische Soldaten ziehen als Boykottposten „unter Waffen" vor den Geschäften auf. In Oberschlesien schließt Polen den kleinen Grenzverkehr und zehntausend deutsche Pendler sind von ihren Arbeitsplätzen abgeschnitten. Zu allem Überfluß beschießt polnische Schiffs- und Küstenartillerie in drei Fällen zivile Lufthansa-Passagiermaschinen über offener See. Dazu kommt die steigende Nervosität der Bevölkerung in Danzig. Die Demonstrationen der Danziger für ihre Wiedervereinigung mit Deutschland wollen nicht mehr enden. Im Juli und August setzt eine Flüchtlingswelle von „Volksdeutschen" nach Deutschland ein, die sich, wie kurz vor dem Bau der Mauer 1961 in Berlin, von Tag zu Tag verstärkt. Am 17. August zählt man inzwischen über 76.000 Flüchtlinge an den polnisch-deutschen Grenzen und weitere 18.000 auf Danziger Gebiet. Die Lage kocht so hoch, daß die Danzig-Frage und das Problem der Minderheiten nicht weiter aufgeschoben werden können.

    Auch in Polen ist man tief verärgert über Deutschland und den deutschsprachigen Bevölkerungsanteil im eigenen Land. Das Reich verkehrt immer öfter direkt mit den Danziger Behörden – statt wie es das Danzig-Statut verlangt – den diplomatischen Weg über das polnische Außenministerium in Warschau einzuhalten. Die deutsche Minderheit – genauso wie die ukrainische – beschuldigt man zudem, Polen gegenüber illoyal und Feind im eigenen Land zu sein.

    Nach fünf Verhandlungsinitiativen von deutscher Seite im Herbst, Winter und Frühjahr 1938/39, die allesamt erfolglos bleiben, faßt Hitler offensichtlich im späten Frühjahr 1939 den Entschluß, das Bündel der deutsch-polnischen Probleme notfalls mit einem Krieg zu lösen. Ein Feldzug, das weiß Hitler, darf wegen des in Osteuropa üblichen Herbstwetters nicht zu spät im Jahr beginnen. Regen, Schlamm und Nebel behindern sonst die Bewegungen der Bodentruppen und schließen mit einiger Wahrscheinlichkeit den Einsatz der Luftstreitkräfte aus. So

    160
    v. Weizsäcker Erinnerungen, Seite 242
    161
    Das Folgende ist dem Stader Tageblatt Juli-August 1939 entnommen und den Dokumenten zur Vorgeschichte des Krieges aus AA 1939 Nr. 2, Dokumente 349 bis 437
    visiert Hitler, wenn er von der Möglichkeit des Krieges spricht, auch stets das Ende des Augusts oder den Anfang des Septembers an. Am 12. August kündigt Hitler dem italienischen Außenminister Graf Ciano an, Polen nach der nächsten Provokation anzugreifen. Als Ciano nachfragt, ist Hitlers Antwort: „Ende August" 162 Was ihm bis in den August hinein noch hindert, ist der Versuch der Briten und Franzosen, die Sowjets in ein Bündnis gegen Deutschland zu verpflichten. Mit der Sowjetunion im Gegenlager hätte Hitler den Schlag gegen Polen nach eigenem Bekunden nicht gewagt. 163
    Doch als die Sowjets etwa um den 20. August herum zur deutschen Seite einschwenken, und als es Hitler und von Ribbentrop gelingt, am 23. August einen Nichtangriffspakt mit Stalin und Molotow zu schließen, steht für Hitler auch das Datum eines Angriffs gegen Polen für den Fall fest, daß Warschau in der Danzig-Frage unnachgiebig bleibt.

    Am 22. August 1939 versammelt er die Heeresgruppen- und Armeebefehlshaber der drei Wehrmachtsteile auf dem Obersalzberg und verkündet seine Absicht. Die Ansprache, die er zu dieser Gelegenheit hält, ist seine schon erwähnte dritte sogenannte Schlüsselrede. Er sagt dem Sinne nach, er habe ursprünglich zuerst mit

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