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Der Krieg, der viele Vaeter gatte

Der Krieg, der viele Vaeter gatte

Titel: Der Krieg, der viele Vaeter gatte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Schultze-Rhonhof
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schriftlichen Verhandlungsvollmacht ausgestattet. Es entsteht der Eindruck bei den Russen, daß die Sowjetunion im Falle eines Krieges alleine für die Polen, Briten und Franzosen bluten soll. So schleppen sich die französisch-englisch-sowjetischen Verhandlungen bis zum
    21. August hin und werden dann erfolglos abgebrochen. Für Stalin ist nun die zweite Lösung zum Erwerb „Ostpolens" offen: der Pakt mit Hitler.

    Schon am 19. August führt Stalin die Einwilligung des Politbüros herbei, statt einer Allianz mit Frankreich und mit England eine solche mit den Deutschen einzugehen. Er begründet diese Umkehr seines Kurses vor dem höchsten Entscheidungsgremium der Sowjetunion mit einer eingehenden Analyse der Vor- und Nachteile, die beide Handlungsmöglichkeiten für die Russen haben. Stalin geht dabei von der sehr hohen Wahrscheinlichkeit eines Krieges zwischen Deutsch

    205
    Maser, Seite 26
    206
    Maser, Seite 30 und Documents Brit. Foreign Policy, Third Series, Volume VII, Appendix II
    land auf der einen und England-Frankreich auf der anderen Seite aus. Eine Auseinandersetzung Deutschlands mit dem Trio England, Frankreich und Sowjetunion ende vorhersehbar zu schnell mit einer deutschen Niederlage. Ein Krieg jedoch, bei dem die Deutschen nur gegen die Briten und Franzosen kämpfen müßten, sei von längerer Dauer. Damit sei es klüger, das als schwächer eingeschätzte Deutschland zu unterstützen statt die Briten und Franzosen. So könne ein Krieg der kapitalistischen Staaten untereinander länger hingezogen werden und so würden die Kräfte dieser Staaten stärker abgenutzt, als bei einem schnellen Sieg der Briten und Franzosen über Deutschland. 207
    Bei der Aussicht auf einen Zweifrontenkrieg gegen eine Übermacht bestünde außerdem das Risiko, daß Hitler von einem Krieg um Danzig Abstand nehme. So entschließen sich Stalin und das Politbüro am 19. August, die Weichen umzustellen und mit Deutschland zu verhandeln. Am gleichen Tag fällt die Entscheidung, die Zahl der Schützendivisionen zu verdoppeln.

    Zwei Facetten dieser vergeblichen englisch-französisch-sowjetischen Annäherungsbemühungen werden sichtbar, wenn man den ganzen Vorgang bei Licht dreht und sorgfältig betrachtet. Als erstes ist bemerkenswert, daß England und Frankreich hier versuchen, ein Bündnis mit einer Diktatur zu schließen. Sowjetrußland ist selbst ein Staat mit Weltherrschaftsambitionen. Er ist pointiert antidemokratisch und er tritt, wie jedermann in Frankreich und in Großbritannien weiß, die Menschenrechte seiner Bürger skrupellos mit Füßen. Die Staatskriminalität, wie sie zum Beispiel an den „Säuberungen" unter den russischen Eliten
    1936 und 1937 sichtbar wird, ist im Westen 1939 wohlbekannt. Der gleiche Win-ston Churchill, der im Mai 1919 vor dem Aldwych-Club in London erklärt: „ Von allen Tyranneien der Geschichte ist die bolschewistische die schlimmste, die vernichtendste, die erniedrigendste. Es ist reiner Humbug vorzugeben, sie sei nicht viel schlimmer als der deutsche Militarismus." 208 vertritt die Allianz mit dieser „bolschewistischen Tyrannei" am 19. Mai 1939 vor dem Unterhaus kurz und bündig mit britischen Interessen:
    „ Ohne wirksame Ostfront wird es keine ausreichende Verteidigung unserer
    Interessen im Westen geben, und ohne Rußland gibt es keine Ostfront." 209 Skrupel über die Zusammenarbeit mit einer antidemokratischen Diktatur, deren staatliche Mordrate die deutsche bis dahin bei weitem überragt, sind Churchill in seiner Gegnerschaft zu Deutschland offensichtlich fremd. Die politischen Eliten Englands und Frankreichs bemühen sich um ein Bündnis mit einer offensichtlich verbrecherischen Diktatur und begründen das damit, für Demokratie und Menschenrechte einzutreten und die Weltherrschaftsambitionen Deutschlands zu vereiteln. Der Versuch, einen Pakt mit einer Diktatur zu schließen, die Recht und

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    Magenheimer, Seite 18. Einige Historiker halten die zwei aufgefundenen Niederschriften dieser Stalin-Ausführungen für Fälschungen. Andere führen Nachweise ihrer Echtheit an. Ihr Inhalt entspricht zumindest der Logik der vorerwähnten Lenin-Rede vom 6. Dezember 1920
    208
    Bernhardt, Seite 32
    209
    Churchill-Memoiren, Seite 454
    Freiheit im eigenen Lande seit fast zwei Jahrzehnte stranguliert, enthüllt den Anspruch, Recht, Freiheit und Demokratie zu schützen, als Vorwand für ganz andere Zwecke. England und Frankreich wollen im Sommer 1939 die weitere Stärkung Deutschlands

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