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Der Krieg, der viele Vaeter gatte

Der Krieg, der viele Vaeter gatte

Titel: Der Krieg, der viele Vaeter gatte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Schultze-Rhonhof
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Angliederung des Saargebietes über die Besetzung des Rheinlandes, bis zum Anschluß Österreichs und der Sudetenlande, ja selbst bei der unrechtmäßigen Besetzung der Rest-Tschechei immer ohne Krieg und Blutvergießen ausgekommen ist.

    Zum dritten registriert die Bevölkerung bei der Lösung der damals anstehenden Danzig-Frage durchaus, daß Hitler als erster Nachkriegskanzler auf die Heimkehr Westpreußen-Pomerellens und die Korrektur der Grenzen innerhalb Oberschlesiens verzichtet, und daß Posen für ihn schon längst kein Thema mehr ist. Das Deutsche Reich hätte nach dem seit 1918 anerkannten Selbstbestimmungsrecht der Völker genauso seine Interessen an den bis 1919 überwiegend deutsch geprägten und bewohnten Teilen Westpreußens und Oberschlesiens geltend machen können. Die Selbstbeschränkung auf Danzig, die sich Adolf Hitler augenscheinlich gegenüber der polnischen Regierung auferlegt, und die Gewißheit, daß Danzig deutsch und nicht im geringsten polnisch ist, macht die Menschen in ganz Deutschland glauben, daß Hitler den Streit mit Polen um eine durch und durch gerechte Sache führt.

    Der vierte Faktor, der die öffentliche Meinung 1939 für Hitlers Haltung gegenüber Polen einnimmt, ist der Informationsstand der Menschen zur Danzig-Lage und zu den Verkehrsproblemen auf den Transitstrecken in das abgetrennte Ostpreußen. Jedermann in Deutschland weiß, daß Danzig ein halbautonomes Gebiet unter Aufsicht des Völkerbunds geworden ist und nicht ein Teil des Staates Polen. Jeder weiß, daß die Danziger Bevölkerung in den vergangenen Jahren mehrmals Volksabstimmungen gefordert hat, und daß sie dem „eigenen" Lande angeschlossen werden möchte. Jedermann hat davon Kenntnis, daß Polen selbst Ansprüche auf den halbautonomen Freistaat erhebt und Krieg für den Fall der Angliederung Danzigs an das Reich angekündigt hat. Jeder kennt die Berichte von den Zuständen auf den Transitwegen durch den Korridor, von verplombten Zügen, Zollschikanen, Gewehrschüssen auf Personenzüge und von den Versuchen polnischer Flak-Batterien, Lufthansamaschinen abzuschießen.

    Was als fünftes schlimmer noch als Danzig wirkt, ist die Unterdrückung der deutschen Minderheit in Polen. Das Schicksal der deutschen, die in den abgetrennten Gebieten geblieben und nicht abgewandert sind, gleicht dem der Kosovo-Albaner im Jugoslawien der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts. So wie die Freie Welt im Jahre 1999 glaubt, die Drangsal und Verfolgung der Kosovaren nicht länger tatenlos mit ansehen zu dürfen und deshalb einen Krieg gegen Serbien beginnt, so glaubt auch die Mehrheit der deutschen Bevölkerung im Jahre 1939, daß sie die Leiden ihrer Landsleute in Polen nicht weiter dulden darf. So folgt sie Hitler zwar mit Bangen, doch auch mit dem Glauben an die „gerechte Sache" in den Krieg.

    Ein sechster Grund, der zur Solidarisierung der Bevölkerung bei Kriegsbeginn mit Hitler führt, ist das Bild, das man sich vom Ausland macht. Der sogenannte Friede von Versailles steht im krassen Gegensatz zu den moderaten Friedensschlüssen der Deutschen in den vergangenen hundert Jahren. Die Bedingungen der Friedensschlüsse sind 1815 mit Frankreich, 1866 mit Österreich und 1872 wiederum mit Frankreich ausgehandelt worden und nicht diktiert. Keines der unterlegenen Länder ist je entwaffnet und ausgeplündert worden. Keinem ist nachträglich die Alleinschuld am Kriegsausbruch wie ein Urteilsspruch zudiktiert worden. Keinem der besiegten Völker wurde nach der Niederlage die kollektive Ehre aberkannt. Die Deutschen kennen nach dem Ersten Weltkrieg durchaus noch die Vorgeschichte dieses Krieges im Detail. Sie bewerten Versailles als das, was es nach ihrem Kenntnisstand ohne jeden Zweifel ist: ein Akt der Rache Frankreichs, der Bereicherung Englands, der Naivität Amerikas und ein Judaslohn für das ehemals verbündete Italien, insgesamt ein Rückfall in die Zeit der Barbarei. Großbritannien und Frankreich sind nach dieser Vorgeschichte für die Deutschen von 1939 keine Mächte, denen man noch traut. Wenn Hitler England und Frankreich vor dem Krieg oft unklug vor den Kopf stößt, muß er nicht mit der Kritikbreiter Bevölkerungsschichten im eigenen Lande rechnen. Es sind meist nur Diplomaten, Politiker und hohe Offiziere, die sehen, wohin das alles führen kann.

    Ein siebter Faktor ist sicherlich die Erfahrung der Jahre seit dem Krieg. Weder die Sieger noch der Völkerbund haben den besiegten Deutschen von sich aus die Hand zur

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