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Der Krieg, der viele Vaeter gatte

Der Krieg, der viele Vaeter gatte

Titel: Der Krieg, der viele Vaeter gatte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Schultze-Rhonhof
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Versöhnung hingehalten. Viele Siegerstaaten haben statt dessen ihre Versailler Abrüstungsverpflichtungen nicht eingehalten. Frankreich hat zudem in der Zeit, in der Deutschland militärisch so gut wie wehrlos ist, ein Netz von Militärverträgen mit Deutschlands Nachbarstaaten um das Reich gelegt. In der Zeit vor Hitler haben England, Frankreich und Amerika den demokratisch legitimierten Reichsregierungen kein einziges territoriales Zugeständnis eingeräumt, das den Deutschen die Nachkriegsordnung von Versailles hätte erträglich machen können. 257
    Vor diesem Hintergrund sind Hitlers Brachialmethoden erst einmal attraktiv geworden. So nimmt es nicht Wunder, daß man in Deutschland 1939 und im Falle Danzigs ganz besonders die Selbsthilfe für eine legitime und probate Form des Umgangs unter Staaten hält. Was aus heutiger Sicht so brachial wirkt, ist für die Menschen in den 30er Jahren nur das konsequente Durchsetzen des Selbstbestimmungsrechts, das den Deutschen zusteht wie allen anderen Völkern. Diese Sicht der Deutschen ist übrigens auch klugen Briten damals durchaus nicht völlig unverständlich. So schreibt Englands Botschafter in Berlin Sir Henderson schon bald nach Kriegsbeginn mit offensichtlichem Bedauern:
    „Die Nachkriegserfahrung hatte Nazi-Deutschland unglücklicherweise
    gelehrt, daß man ohne Gewalt oder Androhung von Gewalt nichts er
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    reichen konnte."

    Fast niemand im Deutschen Reich will 1939 einen neuen Krieg. Die Schrecken des vergangenen sind längst noch nicht vergessen. Doch fast jedermann möchte, daß die ungelösten Probleme mit den Polen bald geregelt werden. Die Mehrheit der Deutschen hofft zunächst auf die deutsch-polnischen Verhandlungen und danach auf Hitlers Methode, mit dem Militär zu drohen. Als der Erfolg versagt bleibt, und Hitler den Befehl zum Angriff gegen Polen gibt, akzeptiert die Mehrheit aller Bürger diesen neuen Krieg, von dem sie bis zuletzt gehofft hat, er bliebe ihr erspart.

    Polens Selbsteinschätzung am Vorabend des Krieges

    Mit den britisch-französischen Garantieerklärungen im Rücken und im Vertrauen auf den versprochenen Großangriff der Franzosen gegen Deutschland im Falle eines Krieges wiegt sich die polnische Staatsführung im Frühjahr und Sommer 1939 in einer trügerischen Sicherheit. Aus polnischer Sicht sitzt Deutschland in einer Falle zwischen etwa 120 französischen und weiteren englischen Divisionen

    257
    Selbst der vorzeitige Abzug der Besatzungstruppen 1930 hat mit der deutschen Zusicherung erkauft werden müssen, bis 1988 Reparationen zu zahlen.
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    Henderson, Seite 197
    im Westen, der starken britischen Kriegsflotte auf den Meeren und 45 polnischen Divisionen im Osten. Außenminister Beck und mit ihm offensichtlich die Mehrheit der Regierung wiegen sich in der Illusion, daß die polnischen Streitkräfte der Wehrmacht überlegen sind, und daß sie die Wehrmacht im Zusammenwirken mit Briten und Franzosen schlagen werden.

    Unmittelbar nach den englischen und französischen Garantie- und Hilfsversprechen berichtet Botschafter von Moltke über die polnischen Ansichten zu diesem Thema von Warschau nach Berlin:
    „In dieser Selbstsicherheit und Überschätzung der eigenen militärischen
    Stärke, wie sie in der Presse zum Ausdruck kommt, liegt im Hinblick auf
    den polnischen Nationalcharakter eine Gefahr. Daß es sich hierbei nicht
    nur um Pressepropaganda handelt, zeigt eine verbürgte Äußerung, die der
    Vizekriegsminister Gluchowski in einer seriösen Unterhaltung getan hat,
    wobei er ausführte, die deutsche Wehrmacht sei ein großer Bluff, denn
    Deutschland fehlen die ausgebildeten Reserven, um seine Verbände aufzu
    füllen. Auf die Frage, ob er glaube, daß Polen im Ernst Deutschland über
    259 legen sei, antwortete Gluchowski: ‚Aber selbstverständlich'."
    Gmchowski steht mit dieser Einschätzung der Stärke Polens nicht allein. Am 15. Mai 1939, während der polnisch-französischen Militärverhandlungen in Paris, fragen Mitglieder der französischen Delegation den polnischen Kriegsminister General Kasprzycki, ob die polnischen Grenzbefestigungen einem deutschen Angriff standhalten werden. Er antwortet voll Selbstbewußtsein:
    „ Wir haben keine Befestigungen, denn wir gedenken einen Bewegungs
    kriegzuführen und gleich bei Beginn der Operationen in Deutschland ein
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    zufallen."
    Zwei Wochen vor Beginn des Krieges warnt der französische Außenminister Bonnet den polnischen Botschafter Graf Łukasiewicz vor der Stärke

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