Der Krieg, der viele Vaeter gatte
August, dem Tag vor Kriegsbeginn ermorden Polen in Krakau auch noch den dort tätigen deutschen Konsul. Die deutsch-polnische Grenze steht im August 1939 auch ohne Krieg in Flammen.
Die öffentliche Meinung im Deutschen Reich zu Danzig,
Krieg und Polen
Die öffentliche Meinung in Deutschland zum Nachbarvolk im Osten, zu den nach dem Weltkrieg verlorenen Gebieten und zu einer möglichen Auseinandersetzung um Danzig, Westpreußen und Oberschlesien fällt vor dem Zweiten Weltkrieg selbstverständlich noch ganz anders aus, als nach der Katastrophe des 1945 verlorenen Krieges. Vor 1939 sind Zustimmung oder Ablehnung zur deutschen Außenpolitik gegenüber Polen im wesentlichen von den Ansichten geprägt, die die Mehrheit der Bevölkerung ganz allgemein zu der Zeit über die Politik des Diktators Hitler hat. Und die beschreibt der 1938 nach England emigrierte Journalist Sebastian Haffner in seinem Nachkriegsbuch „Anmerkungen zu Hitler" ganz treffend dem Sinne nach wie folgt: 256
„Die .positiven Leistungen' Hitlers haben Deutschlands Bevölkerung zu
der Zeit unabhängig von ihrer Zugehörigkeit zu Arbeiterschaft oder Bür
gertum und unabhängig von ihren früheren Bindungen an KPD, SPD, Zen
trum oder wen auch immer in eine , Hitleranhängerschaft und Führergläu
bigkeit' versetzt, die einer gesunden Kritik so gut wie keinen Spielraum
läßt. Die Liste hitlerscher Leistungen ist inzwischen lang und respektabel.
Man hält ihm ein Wirtschaftswunder ohne Inflation inmitten einer anhal
tenden weltweiten Depression zugute. ,Aus schreiender Not und Massen
elend' so Sebastian Haffner, ,war allgemein ein bescheiden-behaglicher
Wohlstand geworden. Die Versailler Strafauflagen sind weitgehend außer
Kraft gesetzt. Das Saarland und das Memelland gehören wieder zum
Reich, ebenso die Österreicher, die den Anschluß in zwei Volksabstimmun
gen selbst gefordert hatten, und die Sudetendeutschen. Krieg hat es des
wegen wunderbarerweise nicht gegeben. So ist die deutsche Bevölkerung,
was die hitlersche Regierungszeit bis Kriegsbeginn betrifft, erfolgsver
wöhnt und voll Vertrauen. Die Negativseite der Bilanz mit der Verfolgung
politisch Andersdenkender und mit den Verbrechen gegen Minderheiten
256
Haffner, Seiten 37 ff
fremder Abstammung tritt nicht so klar zu Tage und wird als nicht so
schwer bewertet, daß sie die Erfolge und das Vertrauen schmälert."
So weit Haffners „Anmerkungen zu Hitler". Mit dieser Beschreibung schildert der Emigrant Haffner, wie interessierte Bürger 1939 die Situation im eigenen Lande und die Position des Deutschen Reiches in der Welt empfunden, gesehen und bewertet haben. Das hilft, die Frage zu beantworten, warum das deutsche Volk die Außenpolitik, die zur Kriegseröffnung führt, so akzeptiert hat, wie es das im späten Sommer des Jahres 1939 tut. Haffner widersteht der Versuchung, sein Nachkriegswissen von Verlauf und Ende dieses Krieges in die Betrachtung der Menschen von 1939 einzufügen. Er beschreibt allein, was man in Deutschland damals denkt.
In der positiven Grundstimmung jener Zeit folgt das deutsche Volk seinem ersten Politiker auf dem Weg in die große Katastrophe, die wir heute den Zweiten Weltkrieg nennen. Für den deutschen Normalbürger von 1939 ist der damalige Beginn eines neuen Krieges zunächst nur ein letzter, noch ausstehender Schritt, die unberechtigten Sanktionen und die Völkerrechtsbrüche von Versailles zu beenden. Dieser letzte Schritt soll der Befreiung der deutschen Landsleute dienen, die seit 20 Jahren gezwungenermaßen unter polnischer Herrschaft leben müssen. Daß dieser Schritt zur endgültigen Überwindung von Versailles auch der erste in eine ganz andere Richtung ist, die zuerst zum neuen Weltkrieg und dann 1945 zu einer weiteren Niederlage führt, kann man damals noch nicht wissen. Daß trotzdem nicht wenige Menschen schon 1939 bange Ahnungen hegen, heißt nicht, daß sie mit Klarheit wissen, was sich aus dem Streit mit Polen noch entwickelt.
Bis 1939 wirken ganz andere Faktoren auf die öffentliche Meinung als ab Beginn des Krieges. Als erstes sind da Hitlers Reden, in denen der „Führer" seinen Friedenswillen immer wieder suggestiv betont. Er sagt so oft, daß man es ihm glaubt, daß er die Leiden des Krieges aus eigener, bitterer Erfahrung kennt, und daß er dem Frieden in Europa dienen wolle. Zum zweiten, bei aller Pokerei, die man auch damals schon bei Hitler sehen kann, spricht für seine Außenpolitik, daß er von der
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