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Der Krieg, der viele Vaeter gatte

Der Krieg, der viele Vaeter gatte

Titel: Der Krieg, der viele Vaeter gatte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Schultze-Rhonhof
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1918 zum Deutschen Reich. In dieser Zeit verklammern sich Böhmen, Mähren und Deutschland durch eine Vielzahl politischer Verbindungen. 1086 verleiht der deutsche Kaiser dem Herzog von Böhmen die Königswürde. Schon 1257 tritt der Böhmenkönig als siebter Kurfürst zu den bis dahin sechs deutschen Fürsten, die das Recht zur Wahl des deutschen Königs haben, der in der Regel danach auch der deutsche Kaiser wird. 1310 erwirbt das deutsche Haus Luxemburg durch Heirat Johanns von Luxemburg mit der Erbin der böhmischen Krone Elisabeth das Königreich Böhmen. Mit Kaiser Karl IV, König Wenzel und Kaiser Sigismund werden drei Könige von Böhmen aus dieser Linie selbst Könige und Kaiser des Deutschen Reichs. In ihrer Zeit dient Prag für nicht ganz hundert Jahre als „Hauptstadt" Deutschlands. 1526 fallen Böhmen und Mähren durch Erbschaft an das Haus Habsburg, wo sie bis 1918 bleiben. So steht das Gebiet des heutigen Tschechiens und mit ihm die tschechische Nation fast 1000 Jahre unter deutscher Herrschaft, fast 500 Jahre als Teil des Deutschen Reichs und über 400 Jahre im Besitz des Hauses Habsburg. Die Bindung der Tschechen an das Habsburger Reich ist 1917 noch so stark, daß die tschechischen Abgeordneten des Wiener Reichsrats protestieren, als die englische und die französische Regierung auf Anfrage des US-Präsidenten Wilson die Befreiung der Tschechen und Slowaken von Habsburg als eines ihrer Kriegsziele verkünden. Sie erklären schriftlich:
    „Angesichts der alliierten Antwort an Präsident Wilson, worin die Befrei
    ung der Tschechen als ein Kriegsziel erwähnt ist, weisen wir diese Zumu
    tung zurück, die auf ganz falschen Annahmen beruht. Wir erklären nach
    drücklich, daß das tschechische Volk wie stets in der Vergangenheit
    überzeugt ist, daß ihm eine gedeihliche Entwicklung nur unter dem
    Zepter Habsburgs und in der habsburgischen Monarchie sicher ist." 63
    Das, was die Tschechen allerdings seit langem mit Nachdruck für sich fordern, ist ein autonomes Königreich Böhmen mit dem gleichen Status, den auch Ungarn innerhalb des Habsburg-Reiches innehat. Adolf Hitler, im alten Österreich aufgewachsen und von dort geprägt, sieht in den Tschechen deshalb offensichtlich nicht die selbständige Nation, die wir heute in ihr sehen. Die Tschechen selber erhalten sich jedoch trotz dieser Jahrhunderte langen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Integration ins Deutsche Reich die eigene Sprache und ihre nationale Identität, die sie 1919 mit der Gründung der Tschechoslowakei als Staatsprache und Staatsbewußtsein durchsetzen und 1939 natürlich nicht verlieren wollen.

    Der tschechische Bevölkerungsanteil Böhmens und Mährens hat sich einerseits bis 1918 zunehmend der deutschen Sprache in Kunst, Wirtschaft und Wissenschaft bedient und politischen Einfluß im Parlament und bei Hof in Wien gewonnen. So ist zum Beispiel von 1916 bis 1917 der tschechische Graf ClamMartinitz österreichischer Ministerpräsident. Andererseits fühlen sich auch viele Tschechen seit Jahrhunderten vom deutschen Habsburg unterdrückt. Die Erinnerung an den religiösen Kampf des katholischen Herrscherhauses Habsburg gegen die tschechischen Hussiten und Calvinisten im 15. und 17. Jahrhundert lebt im Identitätsempfinden der Tschechen als antideutsche Haltung bis in die Moderne fort. So empfinden sie die Ermordung ihres Reformators Jan Hus 1415 auf dem Konzil von Konstanz bis heute als schnöden Wortbruch und als Verbrechen der Deutschen an den Tschechen. Hus war unter Zusicherung der freien Rückkehr zum Konzil geladen und dort mit Zustimmung des böhmischen Königs und deutschen Kaisers Sigismund als Ketzer verurteilt und auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden.
    Auch ein zweites religiöses Aufbegehren endet im Desaster. Der protestantische tschechische Adel erhebt sich 1618 gegen die vom deutschen Kaiser Ferdinand II. in Böhmen betriebene Gegenreformation. Der Aufstand endet 1620 mit einer Niederlage der Tschechen in der Schlacht am Weißen Berge nahe Prag. Der Adel verliert danach nicht nur seine Rechte sondern auch die Güter, die nun meist in deutsche Hände übergehen. Wie tief diese Niederlage in das historische Bewußtsein der Tschechen eingegangen ist, zeigt sich 1925, als die Regierung der Tschechoslowakei mit einer Bodenreform den Versuch macht, den Besitzstand der Tschechen von 1620 wiederherzustellen.

    Die Slowaken sind geschichtlich einen anderen Weg gegangen. Die Slowakei ist seit 906 zunächst zwischen

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