Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)
keine Kinder darin leben, darum wirkt es so groß. Und die Decken so hoch. Ich bewohne es mit meiner Schwester. Sie ist meine Schwester, meine Mutter und meine Pflegerin. Nun bin ich alt ... Morgens komme ich nicht mehr allein aus dem Bett ...
Wir leben hier zusammen, leben von der Vergangenheit. Wir haben eine schöne Vergangenheit ... Es war schwer, aber wir haben schön gelebt und ehrlich, und ich empfinde keine Kränkung. Für mein Leben ...«
Fjokla Fjodorowna Struj , Partisanin
»Die Zeit hat uns so gemacht, wie wir waren. Wir haben uns bewiesen. Eine solche Zeit wird es nicht mehr geben. Damals war unsere Idee noch jung, und auch wir waren jung. Lenin war noch nicht lange tot. Stalin lebte noch ... Wie stolz trug ich das rote Halstuch, das Komsomolabzeichen!
Dann kam der Krieg. Und wir waren so ... Natürlich entstand bei uns in Shitomir sehr schnell eine Untergrundbewegung. Ich war sofort dabei, darüber wurde gar nicht diskutiert: mitmachen oder nicht, Angst oder nicht. Das wurde gar nicht diskutiert ...
Nach ein paar Monaten wurden wir entdeckt. Ich wurde von der Gestapo verhaftet ... Natürlich hatte ich Angst. Das war für mich schlimmer als sterben. Ich hatte Angst vor Folter. Wenn ich nun nicht aushielte? So dachten wir alle ... Ich zum Beispiel konnte seit meiner Kindheit nur schwer Schmerz ertragen. Aber wir kannten uns noch nicht, wir wussten nicht, wie stark wir waren ...
Beim letzten Verhör, nach dem ich zum dritten Mal auf die Erschießungsliste gesetzt wurde, beim dritten Vernehmer, der erklärte, er sei studierter Historiker, war es so ... Dieser Faschist wollte begreifen, warum wir so waren, warum uns unsere Ideen so wichtig sind. ›Das Leben steht über jeder Idee‹, sagte er. Ich widersprach ihm natürlich, er schrie mich an, schlug mich. ›Was ist es? Was bringt euch dazu, so zu sein? Den Tod gelassen hinzunehmen? Warum glauben die Kommunisten, der Kommunismus müsse in der ganzen Welt siegen?‹, fragte er. Er sprach sehr gut Russisch. Ich beschloss, ihm alles zu sagen – ich wusste, sie würden mich sowieso töten, also sollte das wenigstens nicht umsonst gewesen sein, sollte er wissen, dass wir stark sind. Rund vier Stunden fragte er mich aus, und ich antwortete, wie ich es verstand, was ich vom Marxismus-Leninismus in der Schule und an der Uni gelernt hatte. Das war für ihn ... Er griff sich an den Kopf, rannte im Zimmer auf und ab, blieb wie angewurzelt stehen und sah mich lange, lange an, aber zum ersten Mal schlug er mich nicht ...
Ich stand vor ihm ... Die Haare zur Hälfte ausgerissen – früher hatte ich zwei dicke Zöpfe ... Halb verhungert ... Anfangs träumte ich noch: nur ein winziges Stückchen Brot, dann: wenigstens ein Stück Brotrinde, und schließlich: wenigstens ein paar Krumen ... So stand ich also vor ihm ... Mit brennenden Augen ... Er hörte mir lange zu. Hörte mir zu und schlug mich nicht. Nein, Angst bekam er noch nicht, es war ja erst das Jahr dreiundvierzig. Aber er spürte bereits etwas ... eine vage Gefahr. Er wollte wissen, was das war. Und das erfuhr er von mir. Doch als ich weg war, ließ er mich auf die Erschießungsliste setzen.
In der Nacht vor der Erschießung rief ich mir noch einmal mein Leben in Erinnerung, mein kurzes Leben ...
Der glücklichste Tag in meinem Leben war der, als mein Vater und meine Mutter, nachdem wir während der Bombenangriffe einige Dutzend Kilometer von zu Hause weggefahren waren, beschlossen, zurückzukehren. Nicht wegzugehen. Zu Hause zu bleiben. Ich wusste – wir würden kämpfen. Wir glaubten, so würde der Sieg bald kommen. Auf jeden Fall! Das Erste, was wir taten – wir suchten und retteten Verwundete. Sie lagen auf dem Acker, im Gras, in Straßengräben, hatten sich in Ställen verkrochen. Einmal ging ich morgens hinaus, Kartoffeln buddeln, da fand ich einen in unserem Gemüsegarten. Er lag im Sterben ... Ein junger Offizier, er hatte nicht einmal mehr die Kraft, mir seinen Namen zu sagen. Ich glaube, ich war nie so glücklich wie in diesen Tagen ... Meine Eltern wurden mir neu geschenkt. Bis dahin hatte ich gedacht, mein Vater stünde der Politik fern, aber er war ein parteiloser Bolschewik. Meine Mutter war eine ungebildete Bäuerin, sie glaubte an Gott. Sie betete den ganzen Krieg über. Aber wie? Sie fiel vor der Ikone auf die Knie: ›Errette das Volk! Errette Stalin! Errette die kommunistische Partei von diesem Unhold Hitler.‹ Bei jedem Verhör bei der Gestapo rechnete ich damit, dass gleich die
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