Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)
uns an den Tisch setzten, dann hielt er mich mit einer Hand fest, mit der anderen aß er. Er nannte mich nur ›Mamotschka‹. Noch heute nennt er mich so. Mamotschka ...
Als mein Mann und ich uns wiedersahen, reichte eine Woche nicht, um alles zu erzählen. Ich redete Tag und Nacht ...«
Raïssa Grigorjewna Chossenewitsch , Partisanin
»Begraben ... Wir mussten bei den Partisanen oft jemanden begraben. Wenn eine Gruppe in einen Hinterhalt geraten oder jemand im Gefecht gefallen war. Ich will Ihnen von diesen Begräbnissen erzählen ...
Es war ein sehr schweres Gefecht. Wir hatten viele Menschen verloren, ich selbst wurde verwundet. Und dann nach dem Gefecht das Begräbnis. Normalerweise wurden am Grab kurze Reden gehalten. Erst sprachen die Kommandeure, dann die Freunde. Diesmal war unter den Toten ein junger Bursche aus der Gegend, und seine Mutter war zum Begräbnis gekommen. Sie begann ihn zu beweinen: ›Ach, mein lieber Sohn! Wir haben doch schon eine Hütte für dich gebaut! Du hast uns versprochen, du führst eine Schwiegertochter heim! Und nun vermählst du dich mit der Erde ...‹
Die Abteilung stand schweigend daneben, niemand rührte sie an. Dann hob sie den Kopf und sah, dass nicht nur ihr Sohn getötet worden war, sondern noch viele andere junge Leute da lagen, und sie beweinte auch die fremden jungen Männer: ›Ach, meine lieben Söhne! Eure Mütter können euch nicht sehen, sie wissen gar nicht, dass ihr in der Erde liegt! Und die Erde ist so kalt. Es ist ja bitterkalter Winter. Ich werde für sie weinen, um euch alle. Meine Lieben ... Meine Guten ...‹
Bei ihren Worten ›um euch alle‹ und ›meine Lieben‹ fingen alle Männer lauthals an zu weinen. Keiner konnte sich mehr beherrschen. Die Abteilung stand da und schluchzte. Da brüllte der Kommandeur: ›Salut!‹ Und der Salut übertönte alles.
Was mich damals so beeindruckt hat, und das empfinde ich noch heute, ist die Größe dieses Mutterherzens. In ihrem großen Kummer, als sie ihren Sohn begrub, hatte sie noch Herz genug, auch die fremden Söhne zu beweinen, als wären es ihre eigenen ...«
Larissa Leontjewna Korotkaja , Partisanin
»Ich kehrte heim in mein Dorf ...
Vor unserem Haus spielten Kinder. Ich schaute sie an und dachte: Welches ist wohl meins? Sie sahen alle gleich aus. Die Haare kurz geschoren, wie man früher die Schafe geschoren hat, alle über einen Kamm. Ich erkannte meine Tochter nicht, fragte, wer von ihnen Ljussja sei. Eins der Kinder in einem langen Hemd schrak auf und rannte zum Haus. An der Kleidung konnte man kaum erkennen, wer ein Mädchen war und wer ein Junge. Ich fragte noch einmal: ›Wer von euch ist Ljussja?‹
Sie zeigten auf das Haus: Da ist sie hingelaufen. Das war also meine Tochter.
Einen Augenblick später kam Großmutter mit ihr raus, die Mutter meiner Mutter. Sie führte sie zu mir: ›Na komm. Jetzt werden wir dieser Mama mal was erzählen, weil sie uns allein gelassen hat.‹
Ich trug Uniform wie ein Mann, ein Käppi auf dem Kopf und saß auf einem Pferd. Meine Tochter hatte sich ihre Mama natürlich so vorgestellt wie ihre Großmutter, wie andere Frauen. Das hier aber war ein Soldat. Sie ließ sich lange nicht von mir auf den Arm nehmen, hatte Angst vor mir. Tja, da konnte ich beleidigt sein, wie ich wollte, aber schließlich hatte nicht ich sie aufgezogen, sondern die Großmutter.
Ich hatte Seife mitgebracht. Das war damals ein tolles Geschenk, und als ich sie wusch, biss sie darauf, wollte sie probieren, sie aufessen. So lebten sie. Ich hatte meine Mutter als junge Frau in Erinnerung, doch nun war sie eine Greisin. Als man ihr sagte, ihre Tochter sei da, lief sie aus dem Garten hinaus auf die Straße. Sie sah mich und rannte mit ausgebreiteten Armen auf mich zu. Auch ich erkannte sie und rannte los. Ein paar Schritte vor mir fiel sie entkräftet hin. Ich fiel daneben. Küsste meine Mutter. Küsste die Erde. In meinem Herzen war eine solche Liebe und ein solcher Hass ...
Ich erinnere mich, wie ein verwundeter deutscher Soldat die Hände in die Erde krallte, er hatte Schmerzen, doch ein russischer Soldat sagte zu ihm: ›Hände weg, das ist meine Erde! Deine ist da, wo du hergekommen bist ...‹«
Maria Wassiljewna Pawlowez , Partisanenärztin
»Ich bin meinem Mann an die Front gefolgt ...
Meine Tochter ließ ich bei meiner Schwiegermutter, aber die starb bald. Mein Mann hatte eine Schwester, und die nahm das Kind zu sich. Nach dem Krieg, nach meiner Demobilisierung, wollte sie mir
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