Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)

Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)

Titel: Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Swetlana Alexijewitsch
Vom Netzwerk:
Gruß, wenn sich eine Gelegenheit ergab, eine Nachricht, dass die andere am Leben war ... Auf Schritt und Tritt lauerte der Tod. Am Ararat ... Wir lagen im Sand. Der Ararat war von den Deutschen besetzt. Es war Weihnachten, und die Deutschen feierten. Eine Schwadron und eine Vierzigmillimeterbatterie von uns sollte sie angreifen. Gegen fünf marschierten wir los, wir liefen die ganze Nacht. Im Morgengrauen trafen wir auf unsere Aufklärer, die waren früher losgegangen.
    Das Dorf selbst lag unter uns. Die Deutschen rechneten nicht damit, dass wir durch diesen Sand kommen würden, und hatten nur wenige Posten aufgestellt. Wir drangen sehr leise in ihr Hinterland ein. Wir stiegen den Berg hinunter, nahmen sofort die Posten gefangen und stürmten ins Dorf. Die Deutschen sprangen auf, splitternackt, nur mit MP in der Hand. Sie hatten Weihnachtsbäume zu stehen ... Sie waren alle betrunken ... Auf jedem Hof standen wenigstens zwei, drei Panzer. Leichte Gefechtswagen, Panzerfahrzeuge ... Die ganze Technik. Wir jagten sie gleich an Ort und Stelle in die Luft, das war eine Schießerei, ein Getöse, eine Panik ... Alle rannten durcheinander ... Jeder hatte Angst, einen der eigenen Leute zu treffen. Aus Versehen.
    Ich hatte acht Verwundete ... Ich schleppte sie rauf, auf den Berg. Aber wir hatten etwas versäumt: Wir hatten die Nachrichtenverbindung nicht gekappt. Die deutsche Artillerie beschoss uns mit Granatwerfern und Geschützen. Ich packte meine Verwundeten rasch auf einen Sanitätswagen. Als ich alle verstaut hatte, fuhren sie los ... Noch vor meinen Augen wurde der Wagen von einer Granate getroffen, und alles flog in die Luft. Ich sah nach – nur einer war noch am Leben. Und die Deutschen kamen bereits die Anhöhe hochgestürmt ... Der Verwundete bat: ›Lass mich, Schwester. Lass mich liegen, Schwester ... Ich sterbe sowieso.‹ Sein ganzer Bauch war aufgerissen ... Also, die Gedärme ... Und alles ... Wie sollte ich ihn so schleppen?!
    Ich dachte, mein Pferd sei von dem Verwundeten voller Blut, aber dann sah ich: Es war ebenfalls verwundet, an der Flanke, das gesamte Verbandspäckchen verschwand in der Wunde. Ich hatte noch ein paar Stück Zucker bei mir, die holte ich raus und gab sie ihm. Von allen Seiten wurde geschossen, schwer zu sagen, wo die Deutschen waren, wo unsere. Alle zehn Meter stieß ich auf Verwundete ... Ich dachte: Ich muss ein Fuhrwerk suchen, alle einsammeln. Ich ritt weiter und stieß auf einen Abstieg, und unten waren drei Wege: nach rechts, nach links und geradeaus. Wohin? Ich hielt die Zügel sehr straff. Das Pferd ging dahin, wohin ich es lenkte. Aber plötzlich, ich weiß nicht woher, ob das Instinkt war oder ich mal gehört hatte, dass Pferde den Weg spüren, jedenfalls, bevor ich die Kreuzung erreicht hatte, lockerte ich die Zügel, und das Pferd ging in eine ganz andere Richtung, als ich selbst geritten wäre. Es lief und lief und lief ...
    Ich hatte keine Kraft mehr, mir war schon völlig egal, wohin es lief. Mochte kommen, was kam. Das Pferd lief und lief, plötzlich wurde es immer schneller, schüttelte den Kopf, ich zog die Zügel straffer. Ich beugte mich hinunter und legte die Hand auf seine Wunde. Das Pferd lief immer schneller, dann wieherte es, es hatte etwas gehört. Ich fürchtete, das könnten Deutsche sein. Ich wollte erst das Pferd vorlaufen lassen, doch dann sah ich selbst die frischen Spuren: Pferdehufe, das Rad eines Geschützwagens – da waren mindestens fünfzig Leute langgekommen. Und nach zwei-, dreihundert Metern stießen wir auf ein Fuhrwerk. Darauf lagen Verwundete – ich hatte die Reste unserer Schwadron gefunden.
    Doch es war bereits Hilfe unterwegs – Gefechtswagen, Fuhrwerke ... Wir hatten Befehl: Alle mitnehmen. Im Kugelhagel, unter Beschuss sammelten wir alle ein – Verwundete und Tote. Auch ich saß auf einem Gefechtswagen. Ich fand sie alle, auch den Soldaten mit der Bauchwunde, und brachte sie hinaus. Nur die erschossenen Pferde blieben zurück. Es war schon ziemlich hell, ich fuhr übers Feld und sah sie liegen – eine ganze Herde. Schöne, starke Pferde ... Der Wind zauste ihre Mähnen ...«
    Die ganze Wand des Zimmers, in dem wir sitzen, hängt voller vergrößerter Vorkriegs- und Frontfotos der Schwestern. Die beiden als Schülerinnen – mit Hut und Blumen. Zwei Wochen vor Kriegsausbruch. Normale Kindergesichter, lachlustig, ein wenig gebändigt durch die Feierlichkeit des Augenblicks. Auf dem nächsten Bild tragen sie bereits

Weitere Kostenlose Bücher