Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)
kam ich ins Lazarett, erst in eins, dann in ein anderes. Nach einem halben Jahr wurde ich aus gesundheitlichen Gründen für dienstuntauglich erklärt. Der Krieg war vorbei, ich gerade achtzehn, aber meine Gesundheit schon ruiniert: drei Verwundungen, eine schwere Kopfverletzung. Aber ich war ein Mädchen, und natürlich hielt ich das geheim, von den Verwundungen erzählte ich, aber die Kopfverletzung hielt ich geheim. Doch sie machte sich bemerkbar. Ich musste wieder ins Krankenhaus. Bekam einen Schwerbeschädigtenausweis ... Na, und was tat ich? Ich zerriss die Papiere und warf sie weg, holte mir nicht einmal das Geld, das mir dafür zugestanden hätte. Da hätte man immer zu irgendwelchen Kommissionen gemusst, sich immer wieder untersuchen lassen. Auskunft geben: Wann war die Kopfverletzung, wann verwundet? Wo?
Im Krankenhaus besuchten mich der Schwadronskommandeur und der Stabsfeldwebel. Der Schwadronskommandeur hatte mir im Krieg immer sehr gefallen, aber da hatte er mich gar nicht bemerkt. Er war ein schöner Mann, die Uniform stand ihm sehr gut. Uniform steht jedem Mann. Wir Frauen dagegen, wie sahen wir schon aus? In Hosen, Zöpfe waren verboten, alle mit kurzem Haar, fast wie Jungen. Erst gegen Kriegsende durften wir die Haare manchmal länger tragen. Im Krankenhaus waren meine Haare nachgewachsen, ich hatte nun einen langen Zopf, hatte zugenommen, und die beiden ... Zum Lachen, mein Gott! Alle beide verliebten sich in mich ... Auf Anhieb! Den ganzen Krieg waren wir zusammen gewesen, und nichts dergleichen war geschehen, und nun gleich alle beide: der Schwadronskommandeur und der Stabsfeldwebel, alle beide machten mir einen Heiratsantrag. Redeten plötzlich von Liebe!
Nach dem Krieg wollte ich den Krieg möglichst schnell vergessen. Unser Vater war meiner Schwester und mir eine große Hilfe. Papa war ein weiser Mann. Er nahm unsere Medaillen, Orden und Urkunden, schloss sie weg und sagte: ›Es war Krieg, und ihr habt gekämpft. Aber jetzt vergesst das. Das war der Krieg, doch nun beginnt ein anderes Leben. Zieht Absatzschuhe an. Ihr seid beide hübsche Mädchen. Ihr müsst lernen, müsst heiraten.‹
Olga konnte sich nicht gleich an ein anderes Leben gewöhnen, sie war sehr stolz. Sie wollte ihren Soldatenmantel nicht ausziehen. Ich weiß noch, wie Vater zu Mutter sagte: ›Es ist meine Schuld, dass die Mädchen so jung in den Krieg gezogen sind. Hoffentlich hat er sie nicht zerbrochen. Dass sie nun ihr Leben lang weiterkämpfen.‹
Für meine Orden und Medaillen bekam ich spezielle Bezugsscheine, mit denen ich in Militärläden einkaufen konnte. Ich kaufte mir Gummistiefeletten, die waren damals hochmodern, einen Mantel, ein Kleid und Halbschuhe. Den Uniformmantel wollte ich verkaufen. Ich ging also auf den Markt. Im Seidenkleid. Und was sah ich da? Junge Männer ohne Arme, ohne Beine ... Alles Leute, die an der Front gewesen waren. Wer noch heile Hände hatte, verkaufte selbst gefertigte Löffel. Ein anderer ... Ohne Arme, ohne Beine ... Saß nur da und weinte. Bettelte um eine Kopeke. So war das ... Ich bin fortgegangen, ohne meinen Mantel zu verkaufen. Und solange ich in Moskau lebte, rund fünf Jahre, konnte ich nicht mehr auf den Markt gehen. Ich hatte Angst, einer dieser Krüppel würde mich erkennen und zu mir sagen: ›Warum hast du mich damals rausgeschleppt?‹ Mir fiel ein junger Leutnant ein. Wie ich den rettete ... Seine Beine ... Die Beine waren voller Blut, das eine durch einen Splitter fast abgetrennt. Ich habe ihn verbunden ... Bei einem Bombenangriff ... Ich wäre selbst beinahe umgekommen, aber ich holte ihn raus, brachte die Blutung zum Stillstand. Und er schrie mich an: ›Zieh’s nicht in die Länge! Töte mich!‹ Das verlangte er. Verstehen Sie? Und nun hatte ich die ganze Zeit Angst, diesem Leutnant zu begegnen ...
Als ich im Lazarett lag, war dort ein hübscher Bursche, den alle kannten. Der Panzersoldat Mischa ... An den Familiennamen erinnere ich mich jetzt nicht. Man hatte ihm die Beine amputiert und den rechten Arm, er hatte nur noch den linken. Die Beine waren sehr weit oben amputiert, direkt am Hüftgelenk, deshalb konnte er keine Prothesen tragen. Er wurde im Wagen herumgefahren. Sie hatten für ihn extra einen hohen Wagen gebaut, und jeder, der ins Lazarett kam, fuhr ihn spazieren. Viele Menschen aus der Zivilbevölkerung halfen die Verwundeten pflegen, besonders so schwer Verwundete wie Mischa. Kinder, Frauen und Schüler. Dieser Mischa wurde auf Händen getragen.
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