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Der Krieger und der Prinz

Der Krieger und der Prinz

Titel: Der Krieger und der Prinz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Merciel Liane
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Krähen abzuschießen, die zu dem blutigen Festmahl erschienen waren. Stundenlang hatte er auf die Aasvögel geschossen, bis sie schließlich fast zwanzig beisammen hatte, die Jagd für beendet erklärte und ihren Ghulhunden erlaubte, den Kadaver des armen Schafes zu verschlingen. Bei Sonnenuntergang belebte sie durch unheilige Gebete die kleinen Leichname wieder und verwandelte sie in schwarz geflügelte, augenlose Spione. Albric war ausgezogen und hatte sich bis zur Besinnungslosigkeit betrunken.
    Eine höllische Arbeit war es gewesen, zudem hatten sie einen Tag vergeudet, den sie auf der Jagd hätten zubringen sollen. Er schob die Erinnerung beiseite und ging in sein eigenes Zelt.
    Vergraben auf dem Boden seines Bündels lag ein in Leder gebundenes Gebetbuch. Es war kein richtiges Buch, obwohl die Sonne Celestias in Gold auf seinem Einband eingeprägt war. Zwischen den einzelnen kurzen Gebeten befanden sich mehrere Seiten mit schlichten Bildern und einer leeren Rückseite. Daher konnte Albric diese Seiten herausreißen, ohne dass ein zufälliger Beobachter bemerkt hätte, dass im Buch etwas fehlte. Der verdrehte Fetzen dazwischen, der scheinbar als Lesezeichen diente, ließ sich zu einem etwas größeren Bogen auffalten, in dessen Mitte eine unregelmäßige Sonne ausgespart war. Daheim in Bullenmark hatte Leferic einen Zwilling dieses Bogens.
    Im Rücken des Gebetsbuchs war ein dünner Stab aus Kohle verborgen, in die härtende Zutaten gemischt waren. Der Kohlestab war spiralförmig eng mit getrockneten Blättern umwickelt, sodass er seine Form wahren konnte und an Albrics Hand keine verräterischen Spuren zurückblieben, wenn er schrieb. Sobald die Spitze verbraucht war, konnte er die Blätterspirale weiter abwickeln. Es war eine Erfindung der Schreiber aus Nordmarchain, und ihre Soldaten hatten sie verbreitet. Tinte gefror zu leicht, war daher in harten Wintern unzuverlässig, und sie verursachte im Feld eine ziemliche Sauerei.
    Die Schreibstäbe waren in den Sonnengefallenen Königreichen noch nicht verbreitet, aber Leferic hatte ihre Vorzüge sofort erkannt und sich vor einigen Jahren einen kleinen Vorrat zugelegt. Sie waren sauber, bequem und leicht zu verbergen. Perfekt für eine Arbeit wie diese.
    Albric riss eine leere Seite aus dem Gebetbuch und legte die ausgesparte Sonne darauf. Dort hinein schrieb er über ihre bisherigen Fortschritte, die Neuigkeiten, die er gehört hatte, und die Gerüchte, denen er nur halb traute. Außerdem erwähnte er seinen Argwohn im Hinblick auf die Motive der Dornenlady. Seine Albträume ließ er unerwähnt. Sie wären für Leferic nicht im Geringsten hilfreich, und sein Lord musste nicht wissen, wie sehr ihn Schuldgefühle plagten. Obwohl Albric keine Namen nannte und allzu harte Worte mied, teilte er ansonsten unverblümt seine Meinung mit.
    Anschließend nahm Albric die Schablone weg, füllte den verbleibenden Platz mit nichtigem Unfug und machte so die verborgene Nachricht zu einem profanen Brief an eine Ehefrau, die er nicht hatte. Dann legte er sein Schreibgerät beiseite, versiegelte den Brief und nahm einen Umweg durch den Wald, sodass er sich Tarnebrück nicht von der Straße her näherte. Er musste ohnehin nach den Pferden sehen, und eine Münze, die er einem Gastwirt in die Hand drückte, würde dafür sorgen, dass sein Brief schon bald mit einem Reisenden nach Bullenmark gebracht wurde. Leferic würde seine Nachricht binnen weniger Tage erhalten.
    Er verweilte länger als nötig in der Stadt. Den Pferden ging es gut, und es gab nicht viele neue Neuigkeiten, aber es war ein solches Vergnügen, unter lebenden, atmenden Menschen zu sein – mit ihren alltäglichen Belangen und Plagen und ihren gewöhnlichen Sorgen –, dass Albric Männern ein Bier spendierte, nur damit er dieselben Gerüchte ein Dutzend Mal aus verschiedenen Mündern hörte. Niemand erwähnte den Bäcker – noch nicht –, und auch das war eine Erleichterung.
    Erst als die Sonne sich tief über den westlichen Horizont neigte und er binnen zweier Stunden die vierte Variante von den »wahren Gründen« für den Ritt des Verbrannten Ritters gehört hatte, entschuldigte Albric sich schließlich und verließ schwankend die Taverne Tänzer und Trommel , wobei er sich betrunkener stellte, als er war.
    Bei seiner Rückkehr in ihr verstecktes Lager hatte sich die Dämmerung übers Land gesenkt. Die meisten Krähen Severines waren zurückgekehrt und hockten in den kahlen Zweigen der Bäume über ihrem Zelt,

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