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Der Krieger und der Prinz

Der Krieger und der Prinz

Titel: Der Krieger und der Prinz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Merciel Liane
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wie ein Geist, hätte Albric gesagt, bevor er die Geister, die sie schuf, gesehen und begriffen hatte, was sie in Wahrheit waren. Severines silbernes Haar fiel wie eine schimmernde Haube aus falschen Sternen an ihrem Hals herab, und der blaue Kristall ihres Auges war so strahlend, dass Albric sich fragte, warum man es von den Mauern aus nicht sehen konnte. Zwei ihrer Ghulhunde strichen hinter ihr herum, ihre geduckten Gestalten beinahe überstrahlt von Severines unirdischem Licht. Kein Glanz umgab sie; ihre scharfkantigen Klauen und der Nebel in den Augen waren deutlich zu erkennen, und Speichel tröpfelte in dicken, silbrigen Fäden zwischen ihren Zähnen herab, als sie sahen, dass ein lebender Mann sich näherte.
    Beim Anblick der Dornenlady versteifte sich der Bäcker. Albric musste den Mann die letzten Schritte des Weges hinter sich her zerren; sein Fuß und das Holzbein gruben tiefe Furchen durch die toten Blätter. Der vordere Teil seiner Hose dampfte und stank nach Urin, als sie Severine erreichten.
    »Hier.« Albric zog den Bäcker hoch, riss ihm den zusammengerollten Strick aus dem Mund und gab ihm einen Stoß, dass er mit dem Gesicht nach unten vor Severines Füßen landete. »Das ist der Bäcker, für den das Mädchen gearbeitet hat. Er wollte mir nicht verraten, wohin sie gegangen ist. Vielleicht könnt Ihr ihn zum Sprechen bringen.«
    »Ich weiß es nicht«, stöhnte der Bäcker, der den Mund voller Schmutz und Blätter hatte. Sein Gesicht leuchtete vor Tränen oder Schweiß; die Feuchtigkeit glänzte in Severines Aura. »Ich weiß es nicht, ich schwöre es. Ich kann Euch nichts sagen. Ich weiß nicht, wohin sie gegangen ist.«
    Albric glaubte ihm, aber das spielte keine Rolle mehr. Der Bäcker hatte sein Schicksal besiegelt, indem er Widerstand geleistet hatte. Er würde sterben müssen, und weil er sich jetzt in den Händen der Dornenlady befand, würde er vorher leiden. Und wahrscheinlich auch nachher.
    »Wir werden sehen«, erwiderte Severine. »Bring ihn wieder zum Schweigen.«
    Albric verbarg seine Ungläubigkeit, tat wie geheißen und stopfte dem Mann erneut den Knebel, der vom Speichel schleimig geworden war, in den Mund. Daraufhin trat er zurück.
    Die Dornenlady schaute lächelnd auf den Mann hinab. Der Kristall in ihrem Auge funkelte. Für einen Moment war alles still. Dann sprangen die Ghulhunde hinter ihr los und packten ihren Gefangenen von beiden Seiten. Ihre Krallen zerrissen ihm die Haut, und ihre purpurfarbenen Zungen leckten das Blut ab. Sie zogen ihn weiter fort, tief hinein in die Bäume. Albric setzte sich auf einen Baumstumpf, nachdem sie verschwunden waren, und versuchte, die gedämpften Schreie zu überhören.
    Eine unmöglich lange Zeit verstrich. Der östliche Horizont wurde heller, erst zu einem Grau und dann zu einem sanften Blau. Er sah, wie ein Meer aus Wolken sich teilte und die ganze Pracht des Sonnenaufgangs offenbarte. Ein Vogel zwitscherte über der zarten Tapisserie des Frostes, der auf den braunen Blättern schimmerte.
    Nichts davon berührte Albrics Seele. Er hatte von einem reisenden Söldner gehört, dass es in Kai Amur Krieger gab, die in einem Sonnenuntergang solchen Liebreiz fanden, dass sie beim Gedanken daran töten oder getötet werden konnten und niemals zurückwichen, ganz gleich, was von beidem geschah. Albric bezweifelte die Wahrheit der Geschichte, wünschte jedoch, er könne jenen seltsamen, tapferen Wahnsinn teilen. Alles würde er tun, wenn er nur die Hässlichkeit, die er verursacht hatte, nicht mehr mit ansehen müsste.
    Die Menschen in Kai Amur waren nicht einmal Celestianer. Für sie war ein Sonnenaufgang nur ein Geschehen voller Schönheit, kein Ruf zum Gebet. Albric war Celestianer, ein im Namen der Sonne gesalbter Ritter, und doch fand er keinen Trost unter dem Himmel der Strahlenden. Er war ihres Lichtes unwürdig.
    Jeder Tag, den er in Severines Gesellschaft verbrachte, war ein größerer Verrat seiner Gelübde. Der Priester in Weidenfeld war der Anfang gewesen, aber dort hatte er sich zumindest einreden können, dass der Solaros ein Verräter sei, der sein Schicksal verdiene. Der Priester hatte sich erst bereitgefunden, Galefrid zu verraten, als sie damit gedroht hatten, sein Dorf dem Erdboden gleichzumachen, das stimmte, aber er hatte sich bereitgefunden, und er hätte klüger sein sollen, als dem Wort einer Dorne zu vertrauen.
    Wenn Albric nicht schlafen konnte, ohne dass in der Dunkelheit das zerschmetterte Gesicht des Solaros’

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