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Der Krieger und der Prinz

Der Krieger und der Prinz

Titel: Der Krieger und der Prinz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Merciel Liane
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Himmel schickten und fast unsichtbar vor der untergehenden Sonne brannten. Die Nacht hatte sich herabgesenkt, bevor sie den Ring aus Feuer um Tarnebrück errichtet hatten; aber für den Moment befand sich auch die Welt zwischen zwei Phasen, und ihre vergängliche Schönheit erweckte einen seltsamen Schmerz in Bitharns Herz. Die goldene Stunde war verblasst, aber ein wenig von ihrer Wärme leuchtete noch immer entlang der westlichen Mauern und der spitzen Dächer, während auf Zäunen und kahlen Zweigen die silbrige Spitze des Frosts vor dem Licht der Abenddämmerung glitzerte.
    Kelland zog sie näher an sich heran, während sie weitergingen. Die Berührung, Schulter an Schulter, wärmte sie. »Was hast du heute gemacht? Mir ist aufgefallen, dass du mit dem Mädchen weggegangen bist.«
    »Ich dachte, dass sie ihre Mutter in dieser Verfassung nicht sehen sollte.«
    »Du hast gesagt, Kinder machen dich nervös.«
    »Es war gar nicht so schlimm.« Bitharn erzählte ihm von ihren Missgeschicken auf der Suche nach einem Sahnehörnchen, von Mirris schnell erloschenem Wunsch, ein Sonnenritter zu werden, und vom Bogenschießen außerhalb der Stadtmauern. Sie achtete kaum auf ihre eigenen Worte; die Geschichte war erheblich weniger wichtig als das Gefühl, dass Kelland an ihrer Seite schritt. Das leise Klicken der Muschelschalen in seinem Haar tönte ihr süßer als Musik im Ohr. »Sie hat eine gute Hand und ein gutes Auge, und ich denke, sie ist ein Naturtalent im Fährtenlesen.«
    »Gib ihr eine halsstarrige Ader, dazu einen absoluten Mangel an anständigem Verhalten, und sie wird ein gutes Stück weitergekommen sein auf dem Weg zu ihrem Ziel.« Kelland schenkte ihr ein schwaches, liebevolles Lächeln, das in der Abenddämmerung kaum zu erkennen war.
    Bitharn wusste nicht, was über sie kam. Von einem Impuls ergriffen stellte sie sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn direkt auf dieses Lächeln, bestürzt über ihre eigene Kühnheit, aber sobald sich das Erstaunen gelegt hatte, auch ohne das geringste Bedauern. Kelland zuckte zurück wie eine Katze, über der man einen Eimer Wasser geleert hatte, aber sie hielt ihn noch immer untergehakt und ließ nicht los. Sie spürte sein wild pochendes Herz durch den Wappenrock mit dem Sonnenzeichen. Ihr eigenes Herz schien noch schneller zu schlagen. Sie musste sich daran erinnern zu atmen und war plötzlich zutiefst dankbar dafür, dass die hereinbrechende Nacht ihr Erröten verbarg.
    »Du hattest recht«, hörte sie sich selbstgefällig, wenn auch eine Spur zu schnell sagen, bevor sie weiter die Straße hinunterging, als sei nichts geschehen. »Ich habe überhaupt keinen Anstand.«
    »Nein, allerdings nicht«, stimmte Kelland ihr zu und eilte ihr nach.
    Am nächsten Tag wollte er Mathas’ Leichnam sehen. Bitharn hielt das für Zeitverschwendung, aber angesichts der seltsamen Spuren im Graben und der Tatsache, dass das verschwundene Bäckermädchen aus Langmyr stammte, wandte Kelland ein, dass es sich lohnen könnte nachzusehen. Da ein Toter wohl weniger geneigt war, sie um Gefälligkeiten zu bitten als irgendjemand sonst, den sie vielleicht sehen würden, ließ sich Bitharn überreden, aber sie erwartete nicht viel. Andere Sorgen beschäftigten sie.
    Im hellen Licht des Morgens bereute sie den Kuss. Nein, nicht den Kuss; Bitharn konnte sich nicht dazu überwinden, diesen Kuss zu bereuen. Was sie bereute, war der Umstand, dass sie ihn in jener Nacht draußen vor Weidenfeld belogen hatte.
    Sie wollte tatsächlich, dass er seine Gelübde brach. Zumindest eins davon. Sie wollte es in der Tat, unbedingt.
    Er täte es niemals. Da war Bitharn sicher. Kelland würde nicht nur bis zu seinem Todestag seine Gelübde einhalten, er würde auch niemals eine Versuchung eingestehen. Nicht sich selbst gegenüber, nicht ihr gegenüber, vielleicht nicht einmal seiner Göttin gegenüber. Aber sie war sich gleichermaßen gewiss, dass er es genauso sehr wollte wie sie. Es lag in seinen wachsamen Blicken, in der erzwungenen Lässigkeit seiner Gespräche, in der Art, wie er nach dem Kuss des vergangenen Abends bedächtig Abstand von ihr gehalten hatte, als könnte die leiseste Berührung ihrer Haut ihn verbrennen. Er wollte es verzweifelt – genau wie sie –, und sie beide waren verpflichtet, nichts zu sagen und nichts zu tun, das diese Begierde entflammen könnte.
    Unter diesen Umständen kam ihr die Vorstellung gar nicht so schrecklich vor, den Morgen in Gesellschaft einer Leiche zu

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