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Der Krieger und der Prinz

Der Krieger und der Prinz

Titel: Der Krieger und der Prinz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Merciel Liane
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verbringen.
    Mathas lag in einem Leichenkeller unter der Stadtkapelle, wie es gewöhnlich Sitte für jene war, die die Mittel hatten, sich ein anständiges Begräbnis leisten zu können, aber keine private Feier. Er würde in ein oder zwei Tagen bei Sonnenuntergang verbrannt werden, wenn Tarnebrück genug Tote beisammen hatte, dass sich ein Scheiterhaufen rechtfertigen ließe, oder die Verwesungserscheinungen zu unerträglich wurden. Bis dahin warteten seine sterblichen Überreste im Keller, wo die Kühle von Stein und Luft die Verwesung auf ein Minimum beschränkte.
    Ein Tuch aus feinem weißen Leinen, bestickt mit Celestias Sonnenzeichen in Gold, bedeckte Mathas Leichnam auf seiner steinernen Trage. Ähnliche Tücher verhüllten die beiden anderen Leichname im Keller. Nach dem Aberglauben der Einheimischen bedeutete es Unglück, in die Gesichter der Toten zu blicken, und wenn auch Celestias Gesegnete die Schatten des Unglaubens aus den Köpfen der Menschen verbannen sollten, so duldeten sie im Allgemeinen derart harmlose Sitten. Echte Ketzerei machte ihnen schon genug Scherereien.
    Kelland sah Bitharn an, die beinahe unmerklich nickte. Sie verspürte eine seltsame Furcht bei dem Gedanken daran, den Leichnam aufzudecken, ohne den Grund dafür benennen zu können. Anscheinend teilte der Ritter ein wenig dieses Gefühl, denn er zog das Tuch mit einer einzigen schnellen Bewegung herunter, als wäre es zu furchtbar gewesen, es langsam wegzuziehen.
    Aber der Leichnam hatte nichts Schreckliches an sich. Der Körper war aufgebläht, die Augen waren in die Höhlen eingesunken, und das Gesicht war bleich unter einem schwarzen Stoppelbart, aber sowohl Kelland als auch Bitharn hatten bei Weitem zu viele Tote gesehen, als dass der Anblick sie sonderlich erschüttert hätte. Es gab keine Wunden, keine Anzeichen eines Kampfs, nicht das Geringste, das dieses seltsame Prickeln der Angst gerechtfertigt hätte.
    Bitharn trat näher heran und untersuchte den Leichnam. Nichts Ungewöhnliches, aber …
    »Er hat Schlamm an seinem Stiefel«, bemerkte sie und berührte die verkrustete Zehenspitze, »und auf seinem Holzbein.« Der trockene Schlamm zerbröckelte unter ihren Fingern. Er musste nass gewesen, als der Mann unterwegs war; anderenfalls wäre der Schlamm aufgesprungen und abgefallen. Aber auch so hätte er nicht weit gehen können, ohne ihn abzuschütteln.
    »Was hat sein Freund gesagt, wo er gefunden wurde?«
    »Vor einer Taverne in der Stadt.«
    »Innerhalb der Mauern gibt es keinen so tiefen Schlamm.«
    »Aber wir wissen, dass er hinausgegangen ist«, erwiderte Bitharn. »Er ist durch den Graben gegangen, zurückgekommen und gestorben, bevor der Schlamm Zeit hatte zu trocknen oder von seinen Stiefeln abzuspringen. Was mir nicht in den Kopf will, ist, warum ein Mann, der so betrunken war, dass er stolperte und sich das Genick brach, in derselben Nacht, in der er stirbt, zu den Stadtmauern hinausgeht. Warum? Was hätte ihn dazu veranlasst haben können?«
    »Falls es sich so zugetragen hat.« Kelland schüttelte zweifelnd den Kopf. Er zog das goldene Sonnenemblem hervor, das er um den Hals trug, sein Rittermedaillon mit dem Symbol seines Glaubens. Er umfasste das Medaillon mit der rechten Hand, stimmte ein sonores Gebet an und beschwor die Strahlende, ihm ihr Licht der Wahrheit zu gewähren.
    Weißes Licht hüllte ihn wie eine Wolke ein, flackerte und erlosch. Bitharn unterdrückte einen überraschten Fluch. Seit den frühesten Tagen seiner Ausbildung hatte sie Kelland niemals im Gebet scheitern sehen. Die Gesegneten versagten einfach nicht, es sei denn …
    … es sei denn, sie wurden schwer von Zweifel geplagt oder standen kurz davor, ihre Gelübde zu brechen.
    Mit großen Augen betrachtete sie ihn, aber Kellands Gesicht verriet nichts. Er setzte nochmals an und rezitierte die Silben mit ruhiger Entschlossenheit, und als das weiße Licht wiederum erblühte, erfüllte es den Leichenkeller mit seinem Strahlen. Es war so hell, dass es ihr in den Augen schmerzte; jene Schatten, die es nicht tilgte, warf es in die entlegensten Winkel des Raums zurück.
    Bitharns Erleichterung war nur von kurzer Dauer, denn was das gesegnete Licht von Mathas’ Leichnam enthüllte, war ungeheuerlich. Seine Nase war aufgeschlitzt, sein linkes Auge ausgestochen; blutige Wimpern umrahmten die Höhle. Seine Lippen waren weggerissen; geblieben war lediglich ein scharlachrotes Grinsen. Gesicht, Hals und Brustkorb waren von ungleichmäßigen Schnitten und

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