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Der Krieger und der Prinz

Der Krieger und der Prinz

Titel: Der Krieger und der Prinz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Merciel Liane
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aber wenn Albrics Beobachtungen zutreffend waren, handelte sie gewiss nicht in seinem Interesse.
    Albric hatte recht. Es war ein Fehler gewesen, ihr zu vertrauen. Aber auch das war Teil der Vergangenheit, und es überstieg seine Macht, daran etwas zu ändern.
    Leferic schob seinen Stuhl zurück, verließ sein Arbeitszimmer und ging in die große Halle hinunter, um Recht zu sprechen.
    Die Abfolge von Klagen war ihm inzwischen genügend vertraut, dass es ihn nicht mehr ermüdete: Grenzdispute, Anklagen wegen gestohlener Ziegen und ein Fall von angeblicher Hexerei, vorgetragen von einer unglücklichen Mutter, der es ein völliges Rätsel war, warum ihr Sohn sonst mit einer klumpfüßigen Milchmagd davongelaufen war, deren Schnurrbart es mit dem von Sir Brisic aufnehmen konnte. Der schwierigste Teil dieses Falles bestand darin, eine ungerührte Miene beizubehalten, bis die Angelegenheit erledigt war.
    Dann kam die Litanei von Leiden in der Nähe Langmyrs. Schafe und Hunde, die erschossen und liegen gelassen worden waren, bis sie verfaulten, Raufereien in den Tavernen, weil jemand gekränkt gewesen war, das Niederbrennen des Hauses und der Kornkammer eines Bauern. Die Familie war entkommen, aber ihre Milchkuh hatte bei ihnen im Haus Zuflucht vor der Kälte gesucht, und das Tier war in den Flammen gestorben. Leferic hatte gehofft, dass sein Ritt nach Kleinwald die knisternden Spannungen an der Grenze etwas lockern würde, und bis zu einem gewissen Maß war das auch geschehen. Allerdings gab es nach wie vor keinen echten Frieden, aber seitdem die »Banditen« beseitigt waren, hatte es auch keine Morde mehr gegeben.
    Zumindest keine, von denen er wusste. Leferic war davon überzeugt, dass vieles von dem, was sich in den einsamen Abschnitten des Flusses und im Wald ereignete, nie an seine Ohren drang. Er befahl Wiedergutmachung für jene, die Verluste erlitten hatten, versprach, dass die Missetäter der Gerechtigkeit zugeführt werden würden, und wies Heldric an, dem Bauern, dessen Haus abgebrannt war, eine neue Milchkuh für den halben Preis zu verkaufen, sobald der Mann einen neuen Hof gefunden hatte. Bis dahin, so hoffte Leferic, würde sich seine Schatzkammer die Ausgabe vielleicht sogar leisten können.
    Endlich war der letzte Fall erledigt, und die Herolde riefen das Ende der Tagesgeschäfte aus. Leferic entfloh, sobald es ihm möglich war. Er rannte aus der großen Halle hinaus und suchte auf den Türmen der Burg nach frischer Luft und Einsamkeit.
    Die Luft war schneidend wie Glassplitter, als er in die Nacht hinaustrat, aber Leferic machte das nichts aus. Die Kälte half ihm dabei, sich zu konzentrieren. Er ging an den Zinnen entlang, verzehrte ein spärliches Mahl aus kaltem Fleisch und Brot und grübelte darüber nach, wie er seine Schulden begleichen konnte. Die Stadt unten war ein Meer aus Fackeln und Laternen. In der Ferne schimmerte der Seivern im Mondlicht, und der glänzende Faden der Straße der Flusskönige schmiegte sich an seine Windungen.
    Seine Wachen patrouillierten paarweise auf den Mauern. Sie begrüßten ihn, wenn er vorbeikam, aber keiner der Männer hielt ihn auf oder sprach lange genug, um seine Gedanken zu stören. Leferic war zu dieser Stunde ein gewohnter Anblick auf den Mauern geworden, und seine Männer kannten seine Gewohnheiten. Er grüßte sie alle mit einem Nicken und ging weiter.
    Das Sirren einer Bogensehne riss ihn aus seinen Gedanken und lenkte seine Aufmerksamkeit auf einen dunklen Teil der Mauer. Dort waren zwei der Fackeln, die die Zinnen beleuchteten, gelöscht worden, und ein Tuch aus Dunkelheit hatte sich über diesen Teil der Mauer gelegt. Von dort war auch das Geräusch gekommen. Leferic blieb stehen, lauschte und hörte dann einen zweiten Schuss und schließlich einen dritten.
    Er zog eine Fackel in der Nähe aus ihrer Halterung und lief los, der Sache auf den Grund zu gehen.
    Als die Flamme seiner Fackel den dunklen Bereich erhellte, sah Leferic einen einzelnen Mann mit einem Bogen auf der Mauer stehen. An der Narbe auf seiner Wange erkannte er Ulvrar. Der junge Nordländer trat zurück und senkte seinen Bogen, als sein Lord näher kam; seine Augen hatten den bleichen, grünen Schimmer von Wolfsaugen in der Nacht.
    »Was machst du da?«, fragte Leferic.
    »Üben.« Ulvrar deutete mit seinem Bogen in die Dunkelheit unten, und Leferic spähte von der Mauer hinab. Der Boden war zu weit entfernt; seine Fackel warf lange Schatten über die Burg, aber den Grund erreichte sie

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