Der Krieger und der Prinz
–, aber die Pflicht hatte ihm diese Last aufgebürdet, und er war niemand, der eine Pflicht vernachlässigte.
Bitharn dagegen war kein Symbol, und das bedeutete, dass es ihr frei stand zu tun, was ihr gefiel. Zumindest in einigen Dingen.
Die Wettbewerbe des Schwerttages von Distelstein lagen direkt in Reichweite. Natürlich nicht der Nahkampf; sie war bestenfalls eine jämmerliche Schwertkämpferin, und die anderen würden kurzen Prozess mit ihr machen, sobald sie sich von der Überraschung erholt hatten, eine Frau in der Arena zu sehen. Auch hatte sie nicht die Kraft, um im Steinwerfen oder bei den Schildrennen anzutreten.
Doch das Bogenschießen … das Bogenschießen war ihr Ding.
Sie überflog die Namen auf der Schriftrolle, die an einen Pfosten außerhalb des Feldes der Bogenschützen genagelt war. Der Schreiber hatte eine klare Handschrift mit großen Buchstaben, und als ihr Pferd daran vorbei war, hatte sie alle Namen gelesen und keinen einzigen erkannt. Lächelnd lehnte Bitharn sich im Sattel zurück.
»Hast du vor, dich einzutragen?«, fragte Kelland. Erheiterung wärmte seine Augen. Er konnte auf Fremde, die in ihm lediglich einen von Celestias Gesegneten sahen, ehrfurchtgebietend wirken, sogar gefährlich. Der Ritter hatte die ernsten Züge der Statuen alter Könige: hohe Wangenknochen, eine breite Stirn und einen Mund, der eher zur Düsternis denn zur Freude neigte. Aber wenn er lächelte, fiel die ganze Last seiner Pflichten von ihm ab, und er war in ihren Augen einfach von reiner Schönheit.
Bitharn wollte, dass er diese kurze Zeit, die ihnen noch blieb, weiterhin lächelte. Sie zwinkerte ihm zu. »Setz auf mich.«
»Du weißt, dass uns das Glücksspiel nicht erlaubt ist.«
»Es wird kein Glücksspiel sein«, versicherte sie ihm und wurde mit einem Lachen belohnt.
Die Erinnerung an dieses Lachen wärmte sie, während sie sich an diesem Nachmittag den Staub der Reise abwusch. Der Wettbewerb würde in wenigen Stunden stattfinden, kurz vor Sonnenuntergang. Zuvor musste sie jedoch noch ein wenig spionieren. Kelland sammelte im Zuge seiner Tätigkeit als Gesegneter Informationen; Bitharn lauschte auf die Gerüchte und Beschwerden, von denen die Gemeinen einander erzählten. Gemeinsam erfuhren sie weit mehr, als einer allein es vermocht hätte.
Um verstohlen lauschen zu können, musste sie verbergen, wer sie war, zumindest für eine Weile. Bitharn flocht ihr langes, honiggoldenes Haar zu einem strammen Zopf, den sie unter einer Haube verknotete, dann band sie ihre Brüste fest an ihren Oberkörper und zog ein locker sitzendes Lederwams über, das verdecken sollte, was die Bandagen nicht verbergen konnten. Ein wenig Schmutz auf den Wangen kaschierte ihre glatte Haut. Sie würde niemals als ein abgebrühter Söldner durchgehen, aber ein Knabe mit frischem Gesicht, der gerade vom Hof seines Vaters kam … das konnte sie fertigbringen, wenn ihr auch noch der richtige Tonfall und ein unbeholfen großspuriger Gang glückte.
Sie hoffte es zumindest. Die Langmyrner sprachen Rhaellanisch, wie alle Bewohner der Sonnengefallenen Königreiche. Vor dem Krieg des Gottestöters war Rhaelyand ein prächtiges Reich gewesen, und die westlichen Königreiche waren seine Provinzen gewesen: Langmyr, Eichenharn und all die anderen, jedes mit seinem eigenen Prinzen und einer Kronburg.
Die Blume von Rhaelyand starb vor über tausend Jahren in der letzten Schlacht im Krieg des Gottestöters auf dem Feld des Kummers. Das Reich, tödlich verwundet, fiel kurze Zeit später. Die Prinzen wurden Könige, die Provinzen Königreiche, und alle behaupteten, der wahre Erbe von Rhaelyands Zeichen – Krone und Sonne – zu sein. Übrig blieben jedoch vom alten Reich lediglich einige vergilbende Karten, der bedeutungslose Name »Sonnengefallene Königreiche« und die beiden Sprachen. Rhaellanisch, die Handelssprache, die so viele Male zersplittert und verwässert worden war, dass ihre Dialekte beinahe eigene Sprachen darstellten, und das Hochrhaellische, die Sprache der Priester und Gelehrten, noch am ehesten ein Echo der Ursprungssprache Rhaelyands.
Bitharn konnte, wie alle in der Kuppel der Sonne ausgebildeten Kinder, Hochrhaellisch sprechen und lesen. Sie beherrschte auch einige Dialekte des Rhaellanischen, aber ihre Lehrer hatten aus Mirhain und Thelyand gestammt, nicht aus Langmyr. Hier würde ihr Akzent sie sofort als Ausländerin ausweisen.
Trotzdem wäre das im Augenblick nicht gar so merkwürdig. In allen anderen
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