Der Krieger und der Prinz
die anzeigten, wie gut der Bogenschütze getroffen hatte. Der größte Ring hatte die Breite einer Weißmelone, der kleinste die Größe einer Pflaume. In Ang’arta, so hieß es, benutzte man lebende Gefangene und zielte zunächst auf die Geschlechtsteile, dann erst auf das Herz. Nach dem, was sie über die Eisenlords gehört hatte, konnte das durchaus der Wahrheit entsprechen.
Die meisten Wettbewerber benutzten Flachbögen aus Ahorn und Ulme, wie sie in diesem Teil der Sonnengefallenen Königreiche üblich waren. Die drei Bogenschützen, die sie im Gasthaus gesehen hatte, trugen schwere Langbögen aus Eibenholz; ihre Waffen wirkten stark genug, dass der Pfeil einen mirhainischen Panzer durchschlagen konnte, und sie hatten wahrscheinlich den entsprechenden Zug. Bitharns Bogen war ebenfalls aus Eibenholz, aber erheblich leichter; sie besaß nicht die Körperkraft, um mit einem Schulterbrecher wie diesen Bögen fertigzuwerden. Stattdessen würden ihr Geschwindigkeit und Genauigkeit dienen müssen.
Der Söldner, der sich Anslak Blaufeuer nannte, erschien als Letzter auf dem Feld. Er kam in einem Umhang aus flatternden blauen Flicken, die so geschnitten waren, dass sie tanzenden Flammen ähnelten. In der Mitte jeder Flamme glitzerten Silbermünzen. Sein Bogen und seine Pfeile waren dazu passend eingefärbt, und als er einen Pfeil zog, um seinen ersten Schuss abzugeben, sah Bitharn, dass die Spitze geriffelt und mit graublauem Pulver gefüllt war.
Sie verbarg ein Lächeln und machte sich für ihren eigenen Schuss bereit.
»Einspannen und abschießen!«, rief der Herold, und Bitharn ließ ihren Pfeil fliegen. Die Menge keuchte auf, als der Luftstrom das in Anslaks Pfeil verborgene Rauchpulver entzündete und seinen Schuss in einen leuchtendblauen Kometen verwandelte, der über die Hälfte des Feldes Funken hinter sich her zog. Die Treffsicherheit des Mannes entsprach seiner Selbstdarstellung; sein Pfeil bohrte sich, immer noch rauchend, mitten ins Schwarze. Bitharn versenkte ihren Pfeil in der Mitte ihres eigenen Ziels, während die anderen Wettbewerber ins Gelbe trafen oder das Rote streiften.
Dreimal rief der Herold, und dreimal traf Bitharn ins Schwarze. Anslak tat es ihr Schuss um Schuss gleich; er schoss Pfeile ab, die in hohen Bögen aus grünem, goldenem und türkisblauem Feuer durch die Luft flogen und sich jedes Mal ins Zentrum der Zielscheibe bohrten. Einer nach dem anderen schieden die übrigen Wettbewerber aus, bis nur noch Bitharn und der blaugewandete Söldner auf dem Feld verblieben.
Zwei Jungen kamen herbeigelaufen, packten die Zielscheiben und rückten sie noch weiter zurück. In der letzten Runde zählte Schnelligkeit ebenso wie Präzision. Drei Schüsse waren abzugeben, nicht nur einer, und wenn man zu lange zum Zielen brauchte, galt das als Fehlschuss.
Es ging kein Wind. Das half. Bitharn holte tief Atem, schob sich lose Haarsträhnen hinter die Ohren und ließ ihre ganze Konzentration in ihren Bogen fließen, in die Pfeile, die ihr zu Füßen in der Erde steckten, und den schwarzen Ring auf der fernen Zielscheibe. Nichts anderes existierte: Nicht das Gebrüll der Menge, nicht Anslak Blaufeuer mit seinem absurden Umhang und seinen Mätzchen, nicht die Sonne im Westen, die seitliche Schatten über das Feld warf und ihren Augen Streiche spielten.
Die Jungen räumten das Feld.
»Einspannen und Abschießen!«
Noch bevor das letzte Wort verhallt war, befanden sich alle ihre drei Pfeile in der Luft … ebenso wie die von Blaufeuer, die einen weiteren zischenden Zopf aus Feuer über das Feld zogen. Ihre Pfeile landeten präzise, dicht nebeneinander. Seine ebenfalls.
Die Jungen liefen das Feld hinunter. Einer legte die Hand um Bitharns dicht nebeneinander steckende Pfeile; der andere tat das Gleiche mit Anslaks Pfeilen. Die Jungen berieten sich, tauschten die Plätze, berieten sich abermals. Dann zog einer von ihnen Bitharns Pfeile aus der Zielscheibe und hielt sie zu einem Strauß aus Stahlkappen hoch; das Zeichen, dass sie gesiegt hatte.
In der Menge erhob sich Gebrüll. Anslak vollführte eine flüchtige Verbeugung, ließ, während er seine Niederlage einräumte, seinen Umhang in einer glitzernden Woge tanzen und kam herbeistolziert, um Bitharns Hand zu ergreifen.
Aus der Nähe betrachtet war er älter, als sie gedacht hatte; er hätte ihr Vater sein können. Feine Fältchen um die Mundwinkel legten Zeugnis davon ab, dass er häufig lächelte, und seine graublauen Augen glänzten vor
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