Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition)
Unterboden durch eine schmale Fuge in die isolierte Röhre, wo sich der Antriebskolben befand.
Ich stieg wieder von der Rampe und warf einen Blick auf die Konsolen am Rand des Bahnsteigs. Ich fand die Bedienelemente der hydraulischen Bühne, dazu Barometer und Hygrometer und andere Messgeräte, außerdem einen Zeigertelegraphen, dessen Leitungen in der Decke verschwanden, eine Alarmglocke und mehrere Uhren.
Irgendetwas störte mich an diesem Bild, auch wenn ich noch nicht genau sagen konnte, was.
Ich warf einen langen Blick in die Dunkelheit, kämpfte meine Nervosität nieder und drehte die Flamme meiner Lampe etwas höher.
Dann folgte ich den Gleisen in den Tunnel.
Zunächst senkte sich der Boden, wohl, um den Start der Bahn zu begünstigen. Ein Stück hinter der Weiche verlief er dann ebenerdig.
Ich suchte nach dem kleinen Kompass in meinem Gürtel. Ein Blick darauf zeigte mir, dass ich mich nach Norden bewegte, und ich hatte eine Ahnung, was uns dort erwartete. Wie weit bis zum Hydepark? Eine Meile? Mehr oder weniger?
Immer weiter wanderte ich entlang der taufrischen Gleise. Ich nahm an, dass sie bislang allenfalls dazu gedient hatten, mit der Draisine Bauschutt zum Lift zu transportieren. Die Wände des Tunnels waren spiegelglatt, und ich staunte, mit welcher Sorgfalt man ihn in den Kalkstein tief unter den Straßen Londons getrieben hatte. In regelmäßigen Abständen säumten kaum sichtbar kunstvolle Steinmetzzeichen meinen Weg.
Es gab keine Gabelungen, und der Tunnel war sauber und frei von Ungeziefer. Es war, wie in einer hermetisch abgeschotteten Welt zu sein, deren einziger Zugang sich unter dem Logenhaus befand. Was bezweckte die Loge mit einer geheimen Bahn, die in der Lage war, sie leise, diskret und ohne Dampfentwicklung unter den Palast zu transportieren? Dass Bailey mir nie davon berichtet hatte, war kaum geeignet, meine Sorgen zu zerstreuen. Ob er überhaupt davon wusste? War dies das Geheimnis, das Aaron und Brunel geteilt hatten?
Doch noch etwas begann mich zu beunruhigen, etwas, das mich vom ersten Moment an verstört hatte, und nun erkannte ich auch, was es war: Wenn ich das Prinzip von Brunels Atmosphärenbahn richtig verstand, wurde die Bahn von einem künstlich erzeugten Vakuum angetrieben, das sie oder genauer den Kolben in der Röhre unter ihr voranzog. Es war eine komplexe, wartungsintensive Technik, die eine minutiöse Koordination aller angeschlossenen Stationen voraussetzte. Daher auch der Telegraph.
Wo aber waren diese anderen Stationen und, noch drängender, wo war das Pumpwerk? Wo waren all die großen Maschinen, die die Luft aus der Röhre saugten, und was sollte der Schirm am Ende der Bahn?
Am Rande meines Lichtkegels verschwand der Silberstreif der Gleise im Nichts. Zuerst dachte ich, ich müsste mich täuschen; dann erkannte ich, dass der Tunnel tatsächlich abrupt an einer Wand aus massivem Fels endete.
Zuerst war ich enttäuscht. Die Arbeit war nicht fertiggestellt worden; Brunels Projekt ein phantastischer Traum geblieben.
Dann aber begriff ich, dass ich mich geirrt hatte: Der Tunnel war sauber amputiert, wie der Arm einer griechischen Statue. Die Gleise führten präzise bis an die Wand; nein, korrigierte ich mich, sie führten in die Wand.
Die Vakuumröhre schloss luftdicht mit dem sie umgebenden Gestein ab.
Man hatte die Arbeit am Tunnel nicht abgebrochen. Er war hier zu Ende .
Es gab keine andere Station – nicht auf dieser Seite.
Mich fröstelte.
Langsam hob ich den Blick. Da war eine kleine Luke über mir, die sich über eine kaum wahrnehmbare Reihe flach in die Wand geschlagener Sprossen erreichen ließ.
Irgendwo da oben war der Palast.
Frans Ovenhart
Unter Monstern
S ie stand über mir, direkt unter dem Transept, ein Schatten, schwärzer als die bleigraue Nacht. Auf dem Rücken trug sie ein Schwert, und ihr Haar fiel offen darüber, was wahrscheinlich nicht allzu praktisch, aber durchaus verführerisch war. Ich genoss es zuzusehen, wie sie sich bewegte, jeder Schritt unverhofft wie bei einem Tier auf der Pirsch. Das, woran sie sich weidete, während sie da stolzierte, einen Finger an der Brüstung, war das große Fenster im Zentrum des Transepts, wo Haupt- und Querschiff des Palasts sich kreuzten.
Dort, am Scheitelpunkt des gewölbten Dachs, gab es eine Unregelmäßigkeit, eine merkwürdige Irritation in der Gleichförmigkeit der eisernen Gitter. Das zentrale Glassegment war rund und ersetzte eine Fläche von neun der rechteckigen Module. Es war
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