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Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Titel: Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Plaschka , Matthias Mösch , Alexander Flory
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nicht aufhalten“, fauchte er. „Die Zeit ist fast gekommen ...“
    „Zeit zu schlafen“, antwortete ich, griff mir den Buddha, der von dem Schaukasten gefallen war, und hieb ihn Aaron auf den Kopf.
    Er bewegte sich nicht mehr.
    Befriedigt ging ich zurück zum Fenster, schnitt mir ein großzügiges Stück Gardinenschnur ab und fesselte und knebelte den Logenmeister damit. Ich gab mir keine Mühe, schonend vorzugehen. Egal, wie alles ausging – meine Tage in seinen Diensten waren vorbei.
    Zufrieden betrachtete ich mein Werk. Dann nahm ich die Lampe an mich, griff nach dem filigranen Geländer und folgte der Wendeltreppe nach unten.
    Die Treppe war steil und überraschend lang. Nach einer kompletten Umdrehung hätte ich erwartet, das Erdgeschoss und die Werkstatt zu erreichen; es gab jedoch keinen Ausgang. Die Stufen bestanden aus Eisenrosten, und die Wände waren mit Messingplatten verkleidet, die das Licht der Öllampe zu einer dunkel glühenden, goldenen Wolke intensivierten. Jedes Geräusch hallte in der dünnen Röhre lange und laut. Als ich zu bedauern begann, nicht die Stufen gezählt zu haben, war es schon zu spät. Ich schätzte aber, ich hatte etwa ein halbes Dutzend kompletter Drehungen mitgemacht, als ich endlich den Fuß der Treppe erreichte.
    Vor mir war eine schwere Stahltür, die wie ein Schott mit einem Rad verriegelt war. Ich öffnete sie und trat in eine enge, metallverkleidete Kammer mit einer weiteren Tür. Ich öffnete auch diese und trat aus der Kammer heraus.
    Der Anblick war überwältigend. Ich stand in einem hohen Kellergewölbe tief unterhalb des Tempels. Die Luft war abgestanden und ungewöhnlich warm. Schwere Kolben und Tanks ruhten vor mir im Halbdunkel, und ich fand meine Vermutung bestätigt, dass die Luke in der Decke Teil eines gigantischen hydraulischen Liftsystems war. Von der Hebebühne aus führten Gleise in einen finsteren Tunnel.
    Das ganze Gewölbe war ein einziger phantastischer Bahnhof.
    Direkt vor der Bühne ruhte eine Draisine. Daneben erhoben sich mehrere Verladekräne und Instrumententafeln sowie eine steile Rampe. Von dieser führte ein zweites Paar Gleise herab, das sich im Eingang des Tunnels mit dem ersten Paar vereinigte. Im Gegensatz zu dem kurzen Teilstück, auf dem die Draisine stand, waren diese Gleise aber entlang einer dicken, lederverkleideten Röhre verlegt, die sich wie ein monströser Wurm in der Dunkelheit verlor.
    Auf der Rampe prunkte, ein Denkmal auf seinem Sockel, Brunels Meisterwerk: die Atmosphärenbahn.
    Staunend erklomm ich die Rampe und hielt meine Lampe hoch. In ihrem Schein blitzten Messing, Kupfer und Glas wie der Schatz in einem Drachenhort. Alles glänzte, als habe man es eben erst zusammengesetzt und frisch poliert. Das Chassis der Bahn ähnelte dem einer schweren Kutsche, doch sie besaß weder Deichsel noch Kutschbock, weder Kessel noch Schornstein. Stattdessen war ihre Front mit schweren Metallplatten und einem bedrohlich wirkenden Schienenräumer gepanzert. Acht verspiegelte Scheinwerfer mit Argandbrennern verliehen der Bahn ein vieläugiges Insektengesicht.
    Die Innenkabine lag hinter dickem Glas. Im Inneren sah ich drei weinrote, samtgepolsterte Bänke mit Gurten links und rechts. Zwischen jedem Paar Gurte lag ein unförmiger, goldener Anzug mit Taucherhelm bereit, und vor den Sitzen hingen kleine Tafeln mit Anzeigen und einem Sortiment von Schaltern von der Decke herab. Ich versuchte, die Kabine zu öffnen, um einen besseren Blick auf die absonderliche Technik zu werfen, doch sie war verschlossen. Auf der Tür prangten Zirkel und Winkelmaß der Loge.
    Hinter der Kabine, auf der Rückseite des Gefährts, befand sich ein schimmernder Metallblock, der aus einer Unzahl winziger Messingstreben und Zahnräder wie bei einer hochkomplexen Rechenmaschine bestand. Flankiert wurde die Apparatur von einer ganzen Phalanx von Daniell-Elementen, galvanischen Zellen von der Größe von Zylinderhüten. Den Abschluss bildete ein runder, an den Kanten mit Leder verkleidetet Schirm, der ziemlich genau die Ausmaße des Tunnels zu besitzen schien, so dass er ihn wie ein Pfropfen verschließen würde.
    Staunend betrachtete ich das Wunderwerk, das auf sechs vielspeichigen Rädern ruhte. Nun wusste ich, was die Kratzer im Hof verursacht hatte. Die Bahn konnte noch nicht lange hier unten stehen, und es machte ganz den Eindruck, als warte sie auf ihre Jungfernfahrt. Blöcke hielten sie an ihrer Position, und ein starkes Drahtseil führte von ihrem

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