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Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Titel: Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Plaschka , Matthias Mösch , Alexander Flory
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sich die Frage, wie Sie ihn justieren wollen. Wenn Sie eine Positionsbestimmung im Sinn haben, sollten Sie die Steine nach den Fixsternen ausrichten. Wenn es um einen Zeitpunkt geht, den Sie markieren wollen, sollten Sie die Planeten wählen. Natürlich stellt sich noch das Problem der Erdrotation.“
    „Ist Ihnen klar, was Sie da sagen?“, fragte sie.
    Ich zuckte die Achseln. „Glauben Sie, dieses absonderliche Bauwerk wurde nur errichtet, um all dieses Blendwerk auszustellen?“ Ich wies auf die unter uns liegenden Ebenen mit ihren roten Baldachinen und Wimpeln, Kunstobjekten, ausgestopften Tieren, mechanischen Spielereien und kolonialem Kitsch, die sich in der Unendlichkeit verloren. Eine erwartungsvolle Stimmung hatte sich einen Tag vor der Eröffnung der Weltausstellung über die Schätze gelegt, die auf ihre Besucher warteten wie Weihnachtsgeschenke auf die Kinder. In der Ferne, möglicherweise im Kesselhaus, möglicherweise auch nur in meiner Einbildung, regte sich ein Zischen, und ein paar der Vögel, die sich unter dem Glasdach gefangen hatten, flatterten in den Ulmen. „Sehen Sie.“
    Sie trat neben mich, und wir warfen einen Blick in die Tiefe. Die Konstruktion, die ich für Blitzableiter gehalten hatte, war auf ein Muster unter uns im Boden gerichtet, das den Kristallbrunnen und die umliegenden Standplätze mit einschloss und dann zu den nächsten Eisenpfeilern lief. Es war eine bizarre Geometrie, die mich an die Arterien eines Blutkreislaufs erinnerte und mit Sicherheit weder der statischen noch der ästhetischen Aufbesserung des Palasts diente.
    Ich sah, sie begriff, was ich meinte. Sie trat schwindelnd zurück.
    „Der Palast ist ein Artefakt“, sagte sie. „Die Kristalle sind nur die Kraftquelle.“
    Ich nickte und wies auf eine weitere Aussparung in der Konstruktion. „Wie Sie sich selbst überzeugen können, fehlt noch einer. Fühlen Sie es nicht? Hören Sie auf Ihre Gefühle.“ Ich schloss kurz die Augen und atmete durch. „Körper und Hirn sind bereit, doch das Herzstück fehlt. Das Herz des Palasts.“ Ich drehte die Ringe zurück in ihre Ausgangsposition und ging daran, die Kristalle wieder zu entnehmen.
    „Was tun Sie da?“
    „Ich packe. Begreifen Sie nicht? Wir können hier nichts bewirken. Noch nicht.“
    „Aber wir müssen ...“
    „Was?“, fragte ich und hielt inne. „Was müssen wir?“
    Sie zögerte und suchte nach Worten. Ich lächelte. „Sie haben keine Ahnung, stimmt’s? Ist das nicht eigenartig?“
    „Sagen Sie es mir doch, wenn Sie so schlau sind“, funkelte sie. „Was, glauben Sie, wird geschehen, wenn man alles ... richtig macht?“
    „Richtig und falsch“, feixte ich. „Ein spannendes Konzept. Zu meiner Schande muss ich gestehen, ich kann Ihnen keine klare Antwort darauf geben. Ich kam nach London in der Hoffnung, die Antworten vor Ort zu finden; denn irgendjemand muss sie ja haben.“
    „Die Konstrukteure des Palasts“, überlegte sie.
    Ich neigte den Kopf. „Meinen Sie? Denkbar. Doch wer sind seine Konstrukteure? Diejenigen, die den Palast errichtet oder diejenigen, die ihn ersonnen haben? Die Glasschneider, Schmiede und Arbeiter oder die Zeichner, Architekten und Bauherren?“ Ich gab ihr Zeit, darüber nachzudenken. „Ich weiß nur: Der Palast ist ein mächtiges Artefakt. Vielleicht ist er Instrument, vielleicht Werkzeug, vielleicht beides. Er könnte ein Astrolabium sein, ein Telegraph oder ein Faradayscher Käfig. Ich bin zuversichtlich, wir werden es herausfinden, wenn es so weit ist, und es we rden sich uns faszinierende Möglichkeiten erschließen. Einstweilen aber ...“
    Ich setzte den letzten Kristall zurück in seinen Behälter und warf ihn in meinen Sack. Das Schwirren in meinem Gehörgang wurde unerträglich, und ich verspürte den dringenden Wunsch, mich diesem Problem zu widmen. Ich nahm an, die Heeren wussten, dass ich Ihnen entschlüpft war, und lenkten immer mehr Energie in den Versuch, mich zu finden. Ich hoffte inniglich, das sei nicht möglich, aber etwas sagte mir, ich sei hier, mitten im Palast, unter ihrem forschenden Blick so exponiert wie auf einem Objektträger.
    „Bleiben Sie stehen“, sagte sie und zog ihr Schwert. „Sie glauben doch nicht, Sie könnten jetzt einfach wieder fortspazieren?“
    „Was erwarten Sie denn?“, antwortete ich.
    „Geben Sie mir die Kristalle“, sagte sie und streckte die freie Hand aus.
    Ich warf den Kopf zurück und lachte. „Das ist gut“, sagte ich und schüttelte den Kopf, um klarer

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