Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition)
Unendlichkeit gefühlt hatte, in der nur ich selbst zu existieren schien, bis ich jeden Sinn für mein Selbst verloren hatte. Wäre es nicht das, was von mir bliebe, verlöre ich sie? Ob es Ananda auch so erging? Hatte mich die Stimme im Tempel damals gerufen, damit ich die Einsamkeit von ihr nahm?
Ich wünschte mir Bailey an meiner Seite. Er war alles an Familie, was ich je gehabt hatte, der einzige, der mich je verstand. Doch er würde seiner Loge die Treue halten, auch wenn die meisten ihrer Mitglieder bereits den Verstand verloren hatten und sich allen Ernstes einzubilden schienen, Ananda mit ihren magischen und technischen Spielzeugen einfangen oder beherrschen zu können. Was diese Männer nie gelernt hatten, war, dass der Dienst an einem höheren Prinzip nicht nur Arbeit, sondern auch die Bereitschaft zur Unterwerfung bedeutete.
Ich war bereit.
Ich warf einen Blick zu Frans. Er erwiderte ihn, aber nur kurz. Seine Augen blieben nie lange auf eine Sache gerichtet, und immerzu fuhr er sich mit der Hand übers Gesicht, als würde er von einem unsichtbaren Bienenschwarm bedroht, und zuckte zusammen, wenn er an den Verband auf seiner Nase stieß.
Wir hatten uns im Unterholz des Hydeparks verborgen gehalten und verfolgt, wie die Palastwachen wie von Geisterhand gezogen eine nach der anderen verschwanden, bis die Kuppe des Palasts, selbst ein einziger, dunkler Kristall in der mondlosen Nacht, sich wie ein jungfräuliches Eiland vor uns erhob.
Dann trat eine einsame Gestalt mit Stock und Laterne aus einem Nebenausgang beim Kesselhaus und bezog breitbeinig davor Position. Sie schwenkte die Laterne und wartete.
Frans bedeutete mir mit gespielter Verbindlichkeit voranzugehen, und so verließ ich die Deckung der Bäume und näherte mich dem Palast. Frans hielt sich mehrere Schritte hinter mir und schubste die gefesselte Frau vor sich her, deren Kleider ich noch immer trug.
Ada hatte es in all den Stunden, die wir nun gemeinsam verbracht hatten, so gut es ging vermieden, mit uns zu sprechen und unsere Befehle meist kommentarlos und ohne uns eines Blickes zu würdigen erfüllt. Nur ihre Gefühle verrieten sie: Sie verachtete uns, und wir machten ihr Angst, und das machte sie wütend. Ich bewunderte daher umso mehr, wie sie es schaffte, ihre Würde zu bewahren, indem sie in keiner Sekunde einen Zweifel daran ließ, dass sie uns für nicht mehr und nicht weniger als gewöhnliche Kriminelle hielt. Ada war eine der Frauen, die dieses Land und seine Regeln nicht nur verstanden und zu ihrem Vorteil benutzten, sondern es erst zu dem gemacht hatten, was es war. Ihre Macht bestand nicht in ihrer Schönheit, sondern in ihrer Verweigerung. Ich war mir sicher, sollten wir nach dieser Nacht tatsächlich am Strang enden, sie würde sich nicht einmal die Mühe machen, dem Ereignis beizuwohnen.
Ich hielt einige Schritte vom Captain entfernt an, und wir musterten einander. Die Laterne hatte er auf einen kleinen Sockel gestellt, der Stockdegen lehnte lässig daneben. Ich spürte seine Wut und wie er sich Mühe gab, sich zu beherrschen, als er Frans mit seiner Frau erblickte. In gewisser Weise, stellte ich fest, ähnelten seine Gefühle denen Adas, nur dass man von ihm immer erwartet hatte, sich zu erklären und Entscheidungen herbeizuführen. Ich ahnte, dass alles in seinem Leben darauf ausgerichtet war, den Bruch zwischen ihm und seiner Frau zu heilen. Er liebte sie, das spürte ich ganz deutlich. Wenn ich das bei unserem ersten Treffen schon erkannt hätte, hätte ich uns vielleicht viel Leid ersparen können.
Irgendwie schien es falsch, dass wir einander mit so viel Hass behandelten. Wollten wir denn nicht das Gleiche?
„Die Wachen sind weg“, sagte er, als ich das Wort nicht ergriff.
„Wo ist der dritte Kristall?“, fragte ich ihn.
„Wann bekomme ich meine Frau?“
„Erst den Kristall“, sagte ich und hoffte, dass er es nicht auf eine Konfrontation anlegen würde.
„Er ist im Palast“, sagte er und nahm Laterne und Waffe wieder auf. Er hatte immer noch starke Schmerzen und bewegte sich sehr aufmerksam, damit ich es nicht mitbekam. Genau wie ich. „Kommen Sie.“
Ich sah zu Frans und zuckte die Achseln. Trotz der Kristalle, die Frans am Körper trug, konnte ich seine Gefühle inzwischen besser wahrnehmen. Es gefiel ihm nicht, wie leicht ich Royle seinen Willen gelassen hatte, aber seine Gier und seine Ungeduld zu Ende zu bringen, was immer er in diesen Stunden für seine eigentliche Mission hielt, ließen ihn von
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