Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Titel: Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Plaschka , Matthias Mösch , Alexander Flory
Vom Netzwerk:
Diskussionen absehen.
    Wir folgten Royle ins Innere.
    Ein Schauder überlief mich, als ich über die Schwelle trat. Es war, wie eine Kathedrale zu betreten; die Geräusche, die Luft, alles im Palast atmete Geheimnis, und unsere Schritte hallten in der Ferne wider. Royles Laterne schimmerte auf den blutroten Baldachinen, und hoch über uns konnte man die dunklen Rippen des Gewölbes erkennen, wie das Skelett eines großen Fischs, der uns verschluckt hatte. Von der Westseite des Palasts, wo wir uns noch in der Nacht zuvor unter Urzeitechsen bekämpft hatten, blies ein kalter Wind herein und ließ die Vorhänge und Wimpel flattern.
    Royle führte uns durch den Schatten eines monumentalen Keltenkreuzes und den stillen Wald der Statuen, durch den ich zwei Tage zuvor Frans gejagt hatte, zu dem zentralen Bereich, wo tropische Pflanzen und der duftende Brunnen ein orientalisches Märchenland entstehen ließen. Ich sah die indische Ausstellung mit ihrem Elefanten und den sechs Fuß hohen goldenen Käfig, aus dem ich zuletzt ein überirdisches Leuchten hatte dringen sehen. Ein rotes Tuch bedeckte nun den Käfig. An der nächsten Wand prangten Portraits von Victoria und Albert. Sie waren nicht gut getroffen.
    Royle hielt vor dem Käfig an. Frans zog Ada an sich heran und hielt ihr wieder seine unheimliche Waffe an den Hals.
    „Was ist, Captain?“, fragte ich. „Skrupel? Kommen Sie, die Königin wird es Ihnen nachsehen.“
    Frans nickte Royle aufmunternd zu.
    Statt einer Erwiderung zog er das Tuch vom Käfig und gab den Blick auf die vergoldeten Streben frei.
    Der Käfig war leer.
    „ Welaan, mein Herr“, rief Frans verärgert. „Was nun?“
    „Der Koh-i-Noor wird nachts in diesem Sockel verwahrt“, erklärte Royle und deutete auf die hohe Basis des Käfigs.
    Ich schüttelte ungläubig den Kopf. „Der Koh-i-Noor ist der fehlende Stein?“, lachte ich. Dabei war es so einleuchtend: Der größte Diamant der Welt, der wahrscheinlich wertvollste Schatz, den England meiner Heimat gestohlen hatte ...
    Royle zuckte die Achseln.
    „Ich kann Ihnen nicht sagen, ob dieser Stein wirklich der Koh-i-Noor ist. Ich sage nur, er ist das, wonach Sie suchen.“
    „Wenn beide Steine aber nicht identisch sind, wo ist dann der Diamant, den Maharadscha Dalip Singh letztes Jahr nach England sandte?“
    „Ist das jetzt wichtig?“, fragte Royle.
    „Nein.“
    Er grunzte. „Ich breche den Sockel jetzt auf.“
    „Nicht doch“, lächelte Frans. „Warum rohe Gewalt, wenn auch Feingefühl zum Ziel führt? Sehen Sie, ich wollte mich immer schon als Juwelendieb versuchen, und welcher Stein wäre dieses Traums wohl würdiger?“

    Ich bat den Captain freundlich, zurückzutreten. Dann drückte ich der Kleinen seine Frau in den Arm und befahl ihr, sie irgendwo festzubinden, vorzugsweise am Vorderbein des Elefanten, wo ich sie gut im Blick hätte, und ein wenig mit der Klinge zu kitzeln, der Dramatik des Augenblicks zuliebe. Dann krempelte ich die Ärmel hoch, holte mein Werkzeug aus dem Seesack und machte mich an meine Herausforderung.
    Feierlich ging ich vor dem Käfig in die Hocke und studierte die Konstruktion. Insbesondere mehrere kleine Austrittsöffnungen und eine Reihe von Spiegeln, die um das Zentrum des Sockels herum angeordnet waren, weckten mein Interesse.
    „Sicherheitsvorkehrungen“, sinnierte ich.
    Der Captain schnaubte gereizt. „Das Ding weigert sich zu leuchten“, grollte er. „Das ist alles.“
    Ich grinste verstehend. Die Engländer hatten sich alle Mühe gegeben, die Brillanz des Steins mit Tricks aufzubessern. Die Austrittsöffnungen gehörten allem Anschein nach zu Gasbrennern. Dabei hätten diese Ignoranten nur die wahre Natur des Steins erkennen müssen, seine stoische Trauer; ihn künstlich auszuleuchten war genauso abartig, wie ein Pferd vor eine Eisenbahn zu spannen.
    Ich tippte vorsichtig gegen den Käfig. Sofort gab es ein schnappendes Geräusch, und ein ausgeklügelter Mechanismus öffnete eine versteckte Klappe im Sockel, die den Stein, so er noch dort gelegen hätte, spätestens jetzt im Sockel hätte verschwinden lassen.
    „Ich hole ein Brecheisen. Damit werde ich ...“, begann der Engländer, aber ich hob die Hand und erbat mir Stille. Dann machte ich mich am Sockel zu schaffen. Wie erwartet befand sich unter dem Holz ein verschlossener Eisenkasten – mit einem Chubbschloss.
    „Diese Schlösser gelten als unknackbar“, erläuterte der Captain.
    „Glauben Sie alles, was man Ihnen erzählt?“
    Er wollte

Weitere Kostenlose Bücher