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Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Titel: Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Plaschka , Matthias Mösch , Alexander Flory
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Druck nötigenfalls widerstehen zu können, aber wahrscheinlich hätte der Stein mir die Hand zerschnitten oder gar die Finger gebrochen, so stark war seine Kraft.
    Einer nach dem anderen gaben wir nach. Das Mädchen setzte seinen Stein zuerst ein, in eine Fassung an seinem Ende der Konstruktion. Der Niederländer gab dem Ding einen leichten Schwung, bis eine zweite, ähnliche Fassung vor ihm zum Stillstand kam, und tat es ihr gleich. Das Leuchten und Ziehen des Steins in meiner Hand verstärkte sich. Nach kurzem Zögern glaubte ich zu durchschauen, was sie getan hatten und wie ich es ihnen gleichtun könnte: Eine dritte und letzte Fassung befand sich gerade außerhalb meiner Reichweite. Ohne weiter nachzudenken, was ich da tat und woher wir das alles wussten, drehte ich die Sphäre in der dafür vorgesehenen Art und Weise, bis die Fassung direkt vor mir lag wie ein erwartungsvolles Schlüsselloch.
    Ich streckte den Arm aus und führte den drängenden Stein ein.
    Das Gefühl der Erleichterung, das mich überkam, war unbeschreiblich.
    In dem Augenblick, in dem ich den letzten Stein eingesetzt hatte, vollführte die Konstruktion eine rollende Bewegung, als werde sie von einem unsichtbaren Uhrwerk angetrieben. Die Steine glommen wie geisterhafte Kohlen, die gesamte Konstruktion erglühte, dann schoss eine gewaltige Explosion aus den Dornen und Stangen und Klingen des Dings. Ein Lichtbogen blitzte hinab und traf den Kristallbrunnen im Zentrum des Palasts, der zu singen begann und gleißte, wie die Sonne im Winter durch Eiszapfen gleißt. Von dort verzweigte sich der Blitz und schoss hakenschlagend den Boden entlang, vorbei an dem Elefanten, den Ulmen, und wilden Mustern folgend unter Kisten, Vasen und Statuen hindurch. Maschinen erwachten zum Leben, wo der Blitz sie berührte, Bogenlampen blitzten auf, und Dampf zischte aus den Rohren. Die Planken unter meinen Füßen bebten, der ganze Palast vibrierte. Schließlich fand jeder der Zweige eine der Eisenrippen, die den Rumpf des Palasts stützten. An diesen leckten sie empor wie Elmsfeuer, um sich dann schließlich wieder am Kreuzpunkt der beiden Schiffe zu vereinen.
    Die Welt war in weißes Feuer getaucht. Ich schloss die Augen und hätte doch nicht sagen können, ob sie offen oder geschlossen waren, denn das Weiß war überall. Trotzdem konnte ich in diesem Weiß Konturen ausmachen. Staunend hob ich die Hände, die wie fahle Fackeln vor mir loderten und auch nicht viel mehr Substanz zu besitzen schienen als Feuer oder vielleicht Nebel. Ich griff wieder nach der Sphäre und spürte einen leichten Widerstand, den ich beiseiteschob, und dann griff ich durch die wirbelnde Sphäre hindurch.
    Ich verlor jeden Orientierungssinn, jedes Gefühl für oben und unten, innen und außen, selbst für die Grenzen meines eigenen Körpers. Es war ein berauschendes, aber auch schreckliches Gefühl, und ich wusste, fühlte oder sah, dass es den anderen genauso erging. Wir waren verloren in diesem Sturm weißen Lichts und in der Verlorenheit verbunden wie Seeleute in einem Orkan. Ich spürte den Herzschlag der Inderin, die nicht wusste, ob sie lachen oder vor Angst laut schreien sollte. Ich spürte die Gedanken hinter der Stirn des Niederländers rasen; am liebsten wären sie davongelaufen wie die Ratten.
    Ich musste mich arg zusammenreißen, um überhaupt noch zu wissen, wer sie, wer er und wer ich waren. Ein bisschen war es so, wie ich mir immer vorgestellt hatte, dass es sein müsse, wenn man sich mit altem, schottischen Whisky zu Tode soff. Bei dem Gedanken musste ich lachen. Ich lachte immer lauter, denn ich ahnte, wenn ich zu lachen aufhörte, würde eine Angst auf mich warten, der sich kein Mann stellen müssen sollte.
    Der Palast war offen, und ich trieb in die Unendlichkeit.

    Irgendwo vor mir im Licht glaubte ich die Silhouette eines großen Tempels auszumachen. Breite Stufen führten zu seinem Eingang empor, und auf den Stufen saßen wie Staubkörner auf den Facetten eines Diamanten Kinder, die bettelnd die Hände ausstreckten. Sie waren abgemagert, trugen Lumpen und waren grau wie Rauch auf den schneeweißen Stufen, so blendend war die alles erfüllende Helligkeit. Es war Kalighat und auch wieder nicht, wie ein Traum, der im einen Moment eine Erinnerung und im nächsten eine Hoffnung oder eine Sorge ist.
    Ich näherte mich einem der Kinder und fragte mich, was es in mir sehen würde; nur eine weitere Pilgerin oder einen Geist? Das Kind drehte den Kopf und lächelte. Es war ein

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