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Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Titel: Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Plaschka , Matthias Mösch , Alexander Flory
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Er seufzte wie ein drittklassiger Romeo. „Ich habe nicht dein Glück. Ich bin nicht mit einer schönen Frau verheiratet, die mich liebt und vergöttert und mir immer zu Diensten ist, wenn ich es brauche.“
    Ich brummte zornig. War Wymer mit Absicht auf meine Frau zu sprechen gekommen, um mich zu ärgern? Wollte er mich an meine Ehe erinnern, damit ihm sein Junggesellendasein wieder interessant erschien? Ich fand das einen unsportlichen Schachzug. Aber andererseits hatte er es ja vielleicht auch ernst gemeint und beneidete mich wirklich. Dass meine Frau sehr schön war, konnte man zumindest nicht in Abrede stellen, und darum war ich ehrlich zu beneiden.
    Ich betrachtete Wymer. Er war etwas kleiner als ich und ein paar Jahre jünger. Sein Haar war dunkler, und er trug es länger als ich und schmierte sich meist eine Menge Pomade hinein. Er stand etwa fünf Fuß von mir entfernt an die Reling gelehnt und schien ganz in Gedanken versunken, während er über den Fluss blickte. Nicht zum ersten Mal fiel mir auf, dass Wymer, wann immer es ihm von den räumlichen Gegebenheiten her möglich war, sich so positionierte, dass ich immer mindestens einen Schritt hätte machen müssen, um ihm an den Hals zu gehen oder ihn sonst wie zu packen.
    Er versuchte, Distanz zu wahren. Im Wortsinne, denn er wusste sehr genau, wie weit ich ihm überlegen war, wenn es darum ging, Ohrfeigen zu verteilen.
    „Vielleicht brauchst du einfach nur eine kleine Abkühlung“, meinte ich und deutete hinunter ins kalte, schmutzige Wasser der Themse.
    „Ich denke, ich bin schon kühl genug“, erwiderte er mit einem abschätzigen Lachen. Aber trotzdem trat er einen Schritt nach hinten. Mir wurde klar, dass er zwar verstanden hatte, dass ich meine Bemerkung als Scherz gemeint hatte und ich ihn nicht wegen seiner Rede in den Fluss geworfen hätte, dass er aber dennoch damit rechnete, ich könne meine im Scherz ausgesprochene Drohung vielleicht doch wahr machen. Was ich natürlich nie getan hätte. Zumindest nicht wegen einer dummen Bemerkung – von denen Wymer nun ganz sicher genügend machte, wenn der Tag lang war.
    Wieder einmal wurde mir klar, dass meine Beziehung zu Wymer etwas eigenartig war. Er war mein Partner, und wir hatten schon ein gutes halbes Dutzend Aufträge gemeinsam durchgeführt. Wir mussten uns aufeinander verlassen können, und auf unseren nicht immer kurzen Reisen, die uns gelegentlich in ausgesprochen abgelegene Ecken des Empires und der restlichen Welt brachten, ergab sich schon häufiger einmal die Gelegenheit, das eine oder andere Detail aus dem Privatleben des anderen zu erfahren. Ich wusste einiges über Wymer, so wie auch er über meine Beziehung zu meiner Frau einigermaßen gut informiert war, und mir war klar, dass Wymer nicht wirklich unter dem Alleinsein litt. Er wäre nie in der Lage gewesen, sich an eine einzige Frau zu binden, dafür gefielen ihm die Weibsbilder im Allgemeinen einfach viel zu gut. Wymer war einer der Männer, dem die Frauen gefielen und der den Frauen gefiel, der der Frauen aber letztlich nur zur Befriedigung seiner körperlichen Gelüste bedurfte. Das Flirten war die einzige Kommunikationsform mit dem anderen Geschlecht, die er kannte. Ernsthafte, ehrliche Unterhaltung betrieb er nur mit Freunden, und ich war mir ziemlich sicher, dass er sich als meinen Freund betrachtete. Für mich, der eigentlich keine echten Freunde hatte, kam Wymer einem Freund schon ziemlich nahe.
    Es war seltsam: Wir waren aufeinander eingespielte Partner, die gemeinsam höchst riskante Operationen durchführten, und mehr als nur Weggefährten. Warum war dann, wenn ich über ihn nachdachte, Wymer für mich immer Wymer und nie Archibald oder gar Archie, wie er sich von anderen gerne nennen ließ?
    Ich fragte mich, ob ich für ihn Sokrates war oder einfach nur Royle.
    Unser Dampfer lief in die Docks ein. Während er vertäut wurde, beschlossen Wymer und ich, uns die Passage zu teilen, um die Spesenrechnung der Sektion Cricket nicht noch weiter wachsen zu lassen. Wymer rief uns vom Schiffsdeck aus eine Kutsche, und ich hieß den Steward, sich um unser Gepäck kümmern. Wir gingen die Gangway nach unten an Land, und ich war froh, nach über einer Woche wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Ich setzte meinen Hut auf, der mir endlich nicht mehr sofort vom Kopf geweht wurde, wenn ich ihn einmal eine Sekunde lang nicht festhielt. Instinktiv griff ich nach dem kleinen Säckchen, das ich unter der Kleidung um den Hals trug.

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