Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition)
spärlichen Hinweise, wohin wir uns wenden müssen, denn es lag nicht in seinem Interesse, Fremden den Weg zu dem ungeheuerlichen Schatz zu weisen, den er im Urwald entdeckt hatte. Tatsächlich soll er sich zunächst geweigert haben, überhaupt etwas zu sagen, als er in Lumpen, halb tot und mit einem Haufen Krankheiten, über die man besser nicht nachdenkt, kurz nach Beginn der Regenzeit Bengalen erreichte.
Die nächsten Jahre verbrachte er in Chinsura. Es war schwer, Einzelheiten darüber in Erfahrung zu bringen, aber er soll verwirrt und über lange Phasen nicht ansprechbar gewesen sein, bis seine Genesung endlich Fortschritte machte. Schließlich muss ihn etwas oder jemand bewogen haben, seine Erlebnisse aufzuschreiben. Diese Notizen sind sehr unzusammenhängend: Er beschreibt darin das Trauma seiner Reise, den Verlust seiner Kameraden, die Strapazen seiner Fahrt über die Bucht von Bengalen in einem winzigen Fischerboot, bis zum Kentern beladen mit mehreren der geheimnisvollen Kisten, die er aus dem Urwald geborgen hatte.
Diese Dokumente haben eher den Charakter einer abenteuerlichen Erzählung und nicht eines ordentlichen Expeditionstagebuchs, wie man es von einem Major der Vereinigten Niederlande erwarten würde. Oft ist der Regen der einzige Hinweis darauf, ob er vom Hin- oder vom Rückweg spricht, und manchmal bleibt unklar, ob er seine Beobachtungen oder die seiner Männer wiedergibt. Als er das zweite Mal die alte Hauptstadt erreichte, scheint er starkes Fieber gehabt zu haben und phantasierte. Über weite Strecken nennt er weder die Himmelsrichtung noch die Zahl zurückgelegter Wegstunden, dann wieder sind seine Beschreibungen so eindringlich und lebhaft, dass sich ein plastisches Bild seines Weges zusammensetzt – wenn man weiß, wo er beginnt.
Der Weg beginnt hier.
In überschwänglichen Worten beschreibt Vanderbilt diese Stadt und welche Wirkung sie damals, 1779, auf ihn ausübte. Hier vernahm er zum ersten Mal die Legenden von einem geheimen Ort in den Bergen, einem Hort der Weisheit und unfasslicher Schätze, die in Gold nicht aufzuwiegen sind, und wir wissen, dass er kurz darauf – entgegen allen Warnungen seitens des Königs und seiner Gelehrten – aufbrach, diesen Ort zu finden. Seine Expedition begann an einer großen Treppe, die ihn aus der Stadt und über eine Brücke in die dahinter gelegenen Hügel führte. Wir wissen auch, dass die Niederländer, als sie drei Wochen später durch den Regen zurückkamen, lange einem kleinen Flusslauf folgten, bis sie wiederum eine Brücke überquerten, und dass das Erste, was sie von der Stadt sahen, die grünen Ziegel einer prächtigen Stupa waren, in deren Schutz sie erschöpft zusammenbrachen.
Sie, das waren zu diesem Zeitpunkt nur noch zwei Männer: Vanderbilt selbst und der junge Fleerackers, der im Dienste der Königlich-Batavischen Gesellschaft der Künste und Wissenschaften stand, und mich ein wenig an Cray erinnert – der gleiche Eifer, dieselbe Besessenheit. Zwar nennt Vanderbilt diesen anderen Überlebenden nie beim Namen, aber es muss Fleerackers gewesen sein, denn wir kennen die Namen aller Teilnehmer seiner Expedition, und alle anderen waren zu diesem Zeitpunkt tot: Osterhoudt, sein Adjutant, eines schrecklichen Nachts von einer Raubkatze zerfleischt; Leutnant Druyts, bei der Bezwingung eines Wasserfalls in die Tiefe gestürzt; Leutnant Willems und Fähnrich Lakerveld, in einer nicht näher benannten Krise getötet.
Fleerackers scheint es mit dem Major gerade noch bis zur Stadt geschafft zu haben und dort gestorben zu sein. Vanderbilt berichtet nichts über die Umstände seines Todes, aber es müssen düstere Stunden gewesen sein; seine Rückkehr überschattet vom Tod seiner Männer, sein Überleben auf Messers Schneide, und es scheint, als ob selbst die Bewohner der alten Hauptstadt, von denen er sich wohl Hilfe versprach, ihm nahelegten, sie umgehend wieder zu verlassen. Ich habe mich oft gefragt, was der Grund dafür war, denn schließlich hatte er ihre Gastfreundschaft zu Beginn seiner Reise noch in den höchsten Tönen gepriesen. Immerhin half man ihm noch, die Kisten, die er und Fleerackers durch den Urwald geschleppt hatten, bis zum Fluss zu ziehen. Dort gab man ihm ein Boot und schob ihn ohne Abschied auf den Kaladan.
So suchen wir also nach einer alten Treppe und einer Stupa mit grünen Ziegeln, denn wir nehmen an, es handle sich bei beiden Orten um ein und denselben. Jenseits der Treppe muss eine kleine Brücke liegen, und
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