Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition)
jenseits ihrer das große Geheimnis.
Der Paleis des Schonen Schijn .
25. Oktober
Allmählich kommen den Männern Zweifel, und es ist nicht gut, so früh schon Zweifel am Sinn unserer Expedition zu hegen. Cpt. Adams und Lt. Shiels verbrachten den größten Teil des Nachmittags damit, mit einem Ruder auf dem Vorplatz des Tempels Cricket zu spielen, statt Cray zu helfen. Immerhin scheinen sie eine Menge Spaß gehabt zu haben, und ich kann es ihnen kaum verübeln, denn Cray kroch wieder stundenlang durch verschüttete Gänge, wohl weil er glaubte, einen der Tempel entdeckt zu haben, die Vanderbilt in seinen Notizen beschreibt. Tatsächlich glaube ich, dass es ihm darum geht, seine private Sammlung zu vergrößern. Immerhin hat er aber außer einer Handvoll Münzen auch ein halbzerfallenes Pergament gefunden, das er nun zu übersetzen versucht – bisher freilich ohne Erfolg. Die Schrift dieses Landes ist noch fremdartiger als die indische, und wenn ich es nicht besser wüsste, ich hielte die Zeichen vielleicht für ein Teppichmuster, nicht für geschriebene Worte.
Ich vertiefe mich wieder in meine Studien des Niederländischen, so lästig mir diese Arbeit auch ist. Ich weiß, dass wir keine Mühen scheuen dürfen und uns eine reiche Belohnung winkt, wenn wir Erfolg haben, und ich bin es meinen Männern schuldig, den Kopf nicht hängen zu lassen. Schließlich sind es alles Freiwillige und alles tüchtige Männer, auch wenn sie sich mir aus verschiedenen Gründen angeschlossen haben:
Für Cpt. Adams scheint die Expedition eine willkommene Abwechslung zu seinen üblichen Pflichten zu sein; wir kennen uns schon lange, er vertraut mir, und ich diene gerne mit ihm, auch wenn ich mir wünschte, er wäre mit dem Herzen voll bei der Sache. Lt. Hall ist vor allem auf Gold und auf Nervenkitzel aus; das Warten liegt ihm nicht. Gestern am Feuer machte er eine Bemerkung, die geeignet war, die Mission in ein lachhaftes Licht zu rücken, und ich musste ihn zur Ordnung rufen. Auch Lt. Shiels scheint Abenteuer zu suchen. Beide, Shiels wie Hall, streben eine schnelle Karriere in der Armee an, und sie haben beide das Zeug dazu. Allein, Lt. Shiels hat die besseren Manieren, wenn das in den Kolonien denn etwas zu bedeuten hat. Sgt. O’Lannigan hat sich bisher noch nicht zu seinen Gründen, sich freiwillig zu melden, geäußert. Ich weiß aber, dass er einer alten irischen Familie entstammt und sein Vater ebenfalls schon in den Kolonien diente, also mag das damit zusammenhängen. Aaron Cray schließlich ist ein verrückter Vogel, und ich frage mich nicht zum ersten Mal, was ihn in die Kolonien verschlug. Er wurde mir zugeteilt, als es darum ging, ob ein Wissenschaftler die Expedition begleiten sollte. Zwar mutmaßte ich damals schon, er sei nicht viel mehr als ein Schatzsucher im Auftrag des British Museum, dem es dank seiner Kontakte oder einer reichen Familie gelungen war, sich einen Platz in meiner Expedition zu erkaufen, aber ich wollte nicht darüber streiten.
Es war weiß Gott schwer genug, meine Vorgesetzten vom Sinn der Expedition zu überzeugen. Vanderbilts Phantasiegespinste allein wären kaum ausreichend gewesen, so kurz nach dem Ende des Kriegs eine Grenzverletzung zu riskieren und uns Offiziere und den Sergeant dafür auch noch vom Dienst freizustellen. Wir wissen aber, welche Privilegien Vanderbilt nach seine Genesung zuteil wurden, während er in Fort Chinsura wie in einem goldenen Käfig lebte und sich einer Reihe bizarrer Studien widmete. Wir wissen von den Schwärmen von Gelehrten, die in den Folgejahren im Fort ein und aus gingen, darunter viele anerkannte Experten für Mineralogie, für Magnetismus und Elektrizität; und schließlich machten ihm die grauen Eminenzen der VOC persönlich ihre Aufwartung. Was immer also in den Kisten war, die Vanderbilt aus dem Urwald gebracht hatte, es musste das Wohlgefallen der Vereenigde Oostindische Compagnie erweckt haben, und wären der kriegerische König Bodawpaya und seine Ambitionen den Niederländern nicht in die Quere gekommen, hätte man wohl noch weitere Expeditionen gesandt, denn einen beträchtlichen Teil dieser Schätze musste Vanderbilt an jener geheimen Stätte zurücklassen, die er in seinen Aufzeichnungen schwärmerisch als Paleis des Schonen Schijn bezeichnet.
Die Geschichte hatte allerdings andere Pläne mit den Niederländern. Chinsura wurde 1795 von der Krone erobert, und Vanderbilt wurde entweder getötet oder floh, jedenfalls hat man nie wieder von ihm
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