Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Titel: Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Plaschka , Matthias Mösch , Alexander Flory
Vom Netzwerk:
sein. Den verwirrten Zeugenberichten nach war ihr das gelungen: Die Männer sprachen von ihr, als sei eine leibhaftige Göttin zu ihnen herabgestiegen; manche schienen gar der irrsinnigen Annahme erlegen zu sein, sie sei in irgendeiner Weise die Besitzerin des Palasts oder doch wenigstens die Tochter Paxtons, des Architekten; ein geistig verwirrter Klempner hatte sie doch tatsächlich für ein Mitglied der königlichen Familie gehalten, und da gab es nun wirklich wenig Ähnlichkeiten, wie ich mich selbst mit einem kurzen Blick auf sie hatte überzeugen können, bevor man sie dann weggebracht hatte. Auch hier galt: Wenn niemand den Leuten etwas ins Essen getan hatte, konnte es sich eigentlich nur um den Kunstgriff einer Talentierten handeln. Fast bereitete mir dieser Gedanke noch mehr Sorgen als der an den Nackten, denn erstens hatte ich noch nie mit einer talentierten Frau zu tun gehabt, und zweitens legte ich auch keinen großen Wert darauf, besonders nicht, wenn es sich, wie ich annahm, um ein Talent handelte, das ihre Wirkung besonders auf das männliche Geschlecht noch verstärkte.
    Vielleicht sollte ich dem Wicket-Keeper dankbar sein, dass er mich nicht auf sie, sondern den „sie fördernden Herrn“ angesetzt hatte. Zumindest ersparte es mir vielleicht noch mehr Probleme mit meiner Frau.
    Besagter Herr war nun natürlich der weißgekleidete Einäugige, der sich zwischen die ratlosen Polizisten, die erzürnten Aussteller und die naseweisen Schaulustigen gedrängt hatte, als wäre es seine Aufgabe, ein außer Kontrolle geratenes Orchester wieder in den richtigen Takt zu bringen. Ich hatte ihn gewähren lassen, denn zu diesem Zeitpunkt war meine vordringliche Aufgabe ja gewesen, den falschen Koh-i-Noor zu bewachen, und der war sicher in seinem Sockel verschwunden, sobald die erste Unruhe losgebrochen war. Meine Zurückhaltung kam mir nun zugute, denn wahrscheinlich hatte er mich noch nicht bemerkt und würde nicht mit mir rechnen, wenn ich ihm meine Aufwartung machte.
    Mit der gebotenen Höflichkeit. Also erst reden, dann zuschlagen. Offenbar wollte der Wicket-Keeper vermeiden, dass sich etwas Ähnliches wie in Rio noch einmal ereignete. Gleichzeitig war es eine Warnung. Wenn der Alte ein Freimaurer war, dann hatte er mächtige Freunde, und gerade der Mystic Order of the Ancient Sun (diese Clubs von Möchtegern-Zauberern trugen alle so blumige Namen) hatte der Sektion Cricket schon früher ein Bein zu stellen versucht. Wymer bezeichnete sie gerne als „Freigeister“: unkontrollierte Talentträger, die er lieber heute als morgen hinter Gittern gesehen hätte. Ich konnte nicht leugnen, dass ich ein gewisses Verständnis für diesen Wunsch empfand, denn solche Leute waren genau die Sorte machtgieriger Quertreiber, die unsereinem das Leben schwer machten: Nach außen hin taten sie, als wären sie die geheime Stütze des Empires; in Wahrheit waren sie die fünfte Kolonne, die es eines Tages zu Fall bringen könnte. Als ich den Wicket-Keeper an einem entspannten Abend im Club einmal darauf angesprochen hatte, ob an den Gerüchten über Talentierte in den Reihen des Ordens etwas dran sei und ob er das nicht als großes Risiko betrachte, hatte er nur gelächelt und gesagt, es sei noch lange nicht entschieden, wer wen zu Fall bringen würde, und etwas an der Art, wie er es gesagt hatte, hatte mich mit dem Eindruck zurückgelassen, dass ihn etwas mit dem Orden verband; etwas, das er als Privatangelegenheit betrachtete, und ich hatte es dabei bewenden lassen.
    Offenbar war aus der Privatangelegenheit nun ein berufliches Problem geworden, denn laut meinen Anweisungen trug der Orden Trauer. Es hatte also Tote gegeben, die Presse wusste davon, und meine Gegner waren verstimmt. Mir sollte es recht sein. Wenn ich die Wahl hatte zwischen einem splitternackten Juwelendieb, einem übergeschnappten Mischlingsmädchen und einem einäugigen Zauberer, dann war der Zauberer gar nicht mal die schlechteste Alternative.
    Greenwood kam zurück und stellte einen dampfenden Teller mit Erbensuppe vor mich, der nach Kuhmist und alter Minze roch. Eine Ausgabe des Standard legte er daneben. Ich versuchte, ein, zwei Löffel Suppe zu essen, dann schob ich sie angewidert von mir und erhob mich. Die Zeitung klemmte ich mir unter den Arm.
    „Sie verlassen uns schon?“, fragte der Sergeant. Beinahe klang es bedrückt.
    „Mein Guter“, sagte ich, reckte mich und gähnte. „Selbst wenn Sie Ihre Bar für mich öffneten – das Feuerwasser, mit dem

Weitere Kostenlose Bücher