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Der Kristallstern

Der Kristallstern

Titel: Der Kristallstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vonda McIntyre
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Heute nacht hätte er sie gerne gehabt. Ein matter Hauch warmer Luft quoll unter Hethrirs Tür hervor, begleitet von einem leisen Summton. Zuerst dachte Tigris, daß es ein Schnarchen sein könnte, aber dann verwarf er den ungehörigen Gedanken wieder. Lord Hethrir hatte gesagt, daß er meditieren würde. Natürlich würde er sich mit Hilfe eines Gesangs konzentrieren.
    Ein weiterer Laut drang auf ihn ein, der aus dem Passagierraum des Sternenschiffs kam. Anakin weinte wieder, erschöpft schluchzend. Tigris versuchte, ihn zu ignorieren, versuchte, nicht daran zu denken, wie hungrig das Kind sein mußte. Er konnte nicht begreifen, warum ihn die Proktoren nicht beruhigt und ihm etwas zu essen gegeben hatten.
    Sein eigener Magen knurrte. Aber das war leicht zu ignorieren. Er würde nichts essen, bevor ihn Lord Hethrir dazu aufforderte.
    Aber der Lord hatte ihm nicht befohlen, die ganze Nacht hier vor der Tür zu bleiben. Er hatte ihm lediglich die Erlaubnis gegeben, hier zu schlafen, wenn er wollte. Sicherlich würde es keinen Schaden anrichten, wenn er sich um das Kind kümmerte. Es war wichtig für Anakin, daß er stark und wach war, wenn er geläutert wurde.
    Tigris erhob sich lautlos und kroch den dämmrigen Gang zum Passagierraum hinunter.
    Abgesehen von Anakin war er leer. Alle Proktoren waren in ihre Kabinen gegangen, um zu schlafen oder zu spielen.
    Anakins Gesicht war vom Weinen verschmiert und verquollen. Er sah Tigris wachsam zu.
    »Komm, Kleiner«, sagte Tigris. »Du mußt dich einsam fühlen, so ganz allein. Und hungrig. Machen wir dich ein bißchen zurecht und geben wir dir etwas zu essen. Wir müssen aber ganz leise sein, damit wir Lord Hethrir nicht stören.«
    Er öffnete den Sicherheitsgurt und hielt Anakin die Hand hin. Anakin nahm sie, rutschte vom Sitz herunter und folgte Tigris, leise und gehorsam.
    Ein Weilchen später fanden sie in der Schiffskombüse Obst und Brot und Milch. Anakin aß hungrig. Mit einem Schnurrbart aus Milch und Krümeln am Kinn hielt er Tigris eine halb aufgegessene Scheibe Brot hin.
    »Abendessen!« sagte er.
    »Nein, danke«, sagte Tigris, auf eigenartige Weise gerührt. Er tadelte sich selbst, nicht nur, weil er gerührt war, sondern auch, weil er in Versuchung geriet, das Brot zu nehmen, in das Glas Milch zu tauchen und zu verzehren. »Das ist dein Abendessen.«
    »Teilen!« sagte Anakin.
    »Nein, danke«, sagte Tigris erneut.
    »Anakin will Plätzchen«, sagte Anakin.
    »Lord Hethrir ißt keine Plätzchen!« rief Tigris schockiert.
    Anakin stülpte störrisch die Unterlippe vor.
    »Keine Plätzchen!« sagte Tigris.
    »Papa«, sagte Anakin. »Papa, Mama…«
    Er stand kurz davor, wieder zu weinen. Tigris wischte Anakin mit dem Ärmelrand das Gesicht ab und hoffte, ihn ablenken zu können. Anakin hörte auf zu schniefen.
    »Ich will zu meinem Papa«, sagte er.
    Tigris kniete sich neben ihn und blickte ihm in die Augen.
    »Anakin, Kleiner«, sagte er, »da ist etwas, was du wissen mußt. Deine Mama und dein Papa wollen dich nicht mehr. Lord Hethrir hat dich gerettet, hat dich adoptiert. So wie er mich und uns alle adoptiert hat.«
    Anakin machte ein finsteres Gesicht. Er nagte an einem Stück Obst, nachdenklich und schweigend. Er fing nicht wieder an zu weinen.
    »Was ist das? Ein Picknick?«
    Tigris sprang auf die Füße, überrascht und bestürzt. Lord Hethrir stand in seiner langen, weißen Robe im Türeingang, elegant wie immer, wenn auch mit zerzausten Haaren.
    »Ich bitte um Verzeihung, Sir«, sagte Tigris. »Das Kind… ich dachte…«
    »Sei still. Bring das Kind an seinen Platz zurück. Die Erlaubnis, vor meiner Tür zu schlafen, ist widerrufen. Du bleibst mit dem Kind im Passagierraum, bis die Reise beendet ist.«
    Hethrir ließ sie allein und schritt davon. Er hatte nicht einmal die Stimme gehoben, aber Tigris zitterte trotzdem. Welchen guten Eindruck auch immer er irgendwie gemacht hatte – er war dahin. Er sah Anakin gereizt an. Dahin wegen des Kindes…
    Tigris seufzte. So sehr er sich auch wünschte, jemand anderen für seine Schande verantwortlich machen zu können mit gutem Gewissen war er dazu nicht in der Lage.
    Er wandte sich Anakin zu.
    Das Kind hielt ihm ein klebriges Stück Obst hin.
    »Abendessen?« fragte Anakin.
    Tigris nahm die Fruchtscheibe entgegen. Er aß sie. Sie schmeckte köstlich.
    Im Passagierraum, abgeschnitten vom Blick auf den Weltraum und die Sterne, warteten Tigris und Anakin gemeinsam, während Lord Hethrir auf der Crseih-Station, im

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