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Der kuerzeste Tag des Jahres

Der kuerzeste Tag des Jahres

Titel: Der kuerzeste Tag des Jahres Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Dubosarsky
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qualifiziert, um in Amerika zu arbeiten?«, fragte er Hannah und biss in einen der großen, runden Champignons, die sie unter dem Haus in einem feuchten Jutesack züchteten.
    Hannah verzog das Gesicht. Elkanahs Amerikapläne brachten sie zur Verzweiflung. Er hatte diese lächerliche Entscheidung getroffen, als wäre das alles so einfach, und jetzt erwartete er von ihnen, damit glücklich zu sein. Sie verlor die Geduld mit ihm, war wütend, aber nichts davon würde sie Randolph anvertrauen. Wieso auch, sie kannte ihn ja kaum.
    »Wir werden sehen«, sagte sie zuckersüß. Hannah konnte so lieblich, so köstlich und so authentisch sein wie frische Zitronenbutter.
    »Und was sagt deine Mutter dazu?«, fragte Randolph Theodora, wie ein Echo von Elias. »Ist sie einverstanden?«
    Theodora zuckte die Achseln.
    »Und dein Vater?«, fuhr Randolph, jetzt an Hannah gewandt, unbarmherzig fort. »Ich kann mir kaum vorstellen, dass er das einfach so hinnehmen wird.«
    Denn selbstverständlich hatte Randolph Elias kennengelernt, und er hatte Kampfgeist und Stärke in dem alten Mann gewittert. Etwas, von dem Elkanah lieber so tat, als wäre es nicht vorhanden.
    »Also ist das der Grund«, sagte Pearl.
    Elkanah war schon im Theater, um dort zu singen, als Rhody aus der Kneipe nach Hause kam. Als Pearl ihm Elkanahs Neuigkeiten verkündete, nickte er in einer Art boshafter Zufriedenheit, die sie gut an ihm kannte, und sie wollte sofort wissen, um was es hier überhaupt ging.
    Also erzählte Rhody es ihr, vertraute es ihr verschwörerisch murmelnd auf dem Sofa an, damit Bea nichts mitbekam. Es hätte ihm dabei längst aufgefallen sein müssen, dass Pearl keine Geheimnisse vor Bea hatte.
    »Was?«, fragte Bea und blickte auf. Sie hockte auf einem Stuhl am Esszimmertisch, wo sie ein Radio reparierte, dessen unzählige Einzelteile wie eine Sammlung winziger Muscheln vor ihr verstreut lagen.
    Rhody schaute sie arglos an.
    »Hannah hat einen Liebhaber«, sagte Pearl, die gern deutliche Worte benutzte. »Das ist der Grund dafür, dass dein Vater ganz wild darauf ist, nach Amerika abzuhauen.«
    »Hannah? Das kann ich mir nicht vorstellen«, antwortete Bea ruhig, mit einem verächtlichen, klugen Lächeln. Sie kannte Hannah nicht sonderlich gut, aber in mancherlei Hinsicht wusste sie besser über sie Bescheid als Elkanah. »Dafür ist sie nicht der Typ.«
    »Theodora hat mir alles erzählt!«, protestierte Rhody. »Und eine zuverlässigere Quelle dürfte es ja wohl kaum geben. Er heißt Rudolf.«
    »Wahrscheinlich bloß einer von ihren Patienten«, gähnte Bea. »Verstehst du, sie schreibt in ihr Tagebuch, Verabredung mit Rudolf um fünfzehn Uhr im Park, und Dad zieht daraus völlig falsche Schlüsse. Er hat den Kopf voller Opernhandlungen.«
    Rhody schnaubte.
    »Hmm.« Pearl war nicht restlos überzeugt. »Vielleicht sollte ich sie einfach anrufen.«
    »Du kannst sie nicht anrufen, Mum.« Bea betrachtete mit gerunzelter Stirn eine winzige Schraube, die auf ihrer Daumenkuppe lag. »Das wäre beleidigend für sie.«
    »Ich müsste ja nicht gleich damit rausplatzen«, verteidigte sich Pearl. »Bloß ein paar geschickt fallen gelassene Anspielungen, du weißt schon, um sie locker zu machen.«
    »Sie ist Psychiaterin.« Bea blieb unbeeindruckt. »Ich schätze, sie würde jede geschickt fallen gelassene Anspielung erkennen, oder?«
    Aber Pearl war über dreißig Jahre älter als Bea. Sie wusste, dass man ein ausgebildeter Experte für etwas sein konnte, ohne dass dies einen auch nur im Geringsten beschützte.
    Kapitel 9
    Vorbereitungen
    Für Theodora, die alles aufzeichnete, vergingen die Tage und Wochen, die auf Elkanahs Ankündigung zu Philadelphia folgten, wie ein einziger Atemzug. Später lasen ihre Notizbücher sich, als wäre in dieser Zeit kaum etwas passiert, obwohl eigentlich alles passiert war. Aber irgendwie war es geschehen, ohne dass sie es mitbekommen hatte: insgeheim, in den dunklen Teilen des Hauses.
    Philadelphia! Theodora machte sich darüber am Computer der Schulbibliothek schlau. Anders als ihre Heimatstadt, die ursprünglich aus einem Gefängnis hervorgegangen war, war Philadelphia von vornehmer Herkunft. Die Museen dort würden erhebend sein, voller inspirierender Ausstellungen über hart arbeitende, tolerante Menschen. Anders als das, was sie von Ausflügen mit ihrer Geschichtsklasse kannte – echte neunschwänzige Katzen, ins Fleisch schneidende Peitschen und Einzelzellen, die kaum größer waren als die darin eingesperrten

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